Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jhereg

Jhereg

Titel: Jhereg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
Vom Netzwerk:
schien ewig her, als ich mich in einer ähnlichen Situation mit Morrolan befunden hatte. Damals wie heute war ich in Gedanken damit beschäftigt, welche Waffe ich am ehesten greifen konnte. Ein Giftpfeil wäre reine Zeitverschwendung. Mein Gift wirkt zwar schnell, aber nicht so schnell. Da müßte ich schon einen Nerv treffen. Sehr wahrscheinlich. Ich mußte etwas Tödliches versuchen – alles andere wäre sinnlos. Damals standen meine Chancen schlecht. Dieses Mal war es noch schlimmer. Morrolan hatte wenigstens keine Waffe gezogen.
    Ich sah ihr wieder in die Augen. An den Augen kann man als erstes erkennen, wann jemand zuschlagen will. In meinem rechten Ärmel spürte ich den Griff von meinem Dolch – mit der Spitze nach vorne. Mit einer heftigen Abwärtsbewegung läge er in meiner Hand; eine Aufwärtsbewegung danach würde ihn in ihren Hals schleudern. Aus dieser Entfernung könnte ich sie nicht verfehlen. Sie mich aber aus dieser Entfernung auch nicht. Wahrscheinlich wäre ich vor ihr tot, und mich würde man hinterher nicht wiederbeleben können.
    »Du mußt es nur sagen, Boß. Ich hack ihr die Augen aus, bevor –«
    »Danke, aber warte noch.«
    Beim letztenmal hatte Morrolan sich anders entschieden, weil ihm klar wurde, daß er mich brauchen konnte, und ich hatte mich kurz vor einer tödlichen Beleidigung bremsen können. Dieses Mal, da war ich mir sicher, würde Aliera es sich nicht anders überlegen – wenn sie sich einmal für eine Handlung entschieden hatte, verfolgte sie die so stur, wie ich es tun würde. Schließlich, dachte ich verbittert, waren wir auf seltsame Weise miteinander verbunden.
    Ich machte mich bereit – ich mußte ihr voraus sein, sonst hatte ich nicht die geringste Chance, also hatte es keinen Sinn mehr zu warten. Das war merkwürdig; mir wurde klar, daß alles, was ich nach meinem Gespräch mit dem Demon getan hatte, entweder zum Ziel hatte, Mellar zu töten, oder mein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, damit nicht ein anderer das Problem aus der Welt schaffte.
    Ich kontrollierte meine Atmung und beobachtete sie. So, jetzt … Moment mal … Ich hielt inne. Was zum Henker machst du da, Vlad? Aliera umbringen? Dich von ihr umbringen lassen? Was, bei dem großen Meer des Chaos, hätte das für einen Sinn? Sicher, Vlad, sicher. Sehr clever. Das fehlte uns gerade noch, daß ausgerechnet du einen von Morrolans Gästen tötest – und noch dazu die falsche! Klar, ausgerechnet jetzt müßte auch noch Aliera tot sein. Das würde –
    »Moment mal!« rief ich. »Ich hab’s!«
    »Du hast was?« fragte sie kühl. Sie ließ mich nicht aus den Augen – sie wußte ja, was für ein durchtriebenes Aas ich sein konnte.
    »Eigentlich«, sagte ich in etwas normalerem Tonfall, »hast du es.«
    »Und was, wenn ich bitten darf, habe ich?«
    »Eine Große Waffe«, sagte ich.
    »Oh ja, in der Tat«, gab sie zu, ohne auch nur einen Zentimeter zurückzuweichen.
    »Eine Waffe«, fuhr ich fort, »die unwiderruflich mit deiner Seele verbunden ist.«
    Ruhig wartete sie, daß ich weiterredete. Dabei zeigte Wegfinder noch immer direkt auf mein Herz.
    Ich lächelte, und das war das erstemal seit Tagen, daß mir wirklich danach zumute war. »Nicht du wirst Mellar töten, meine Liebe. Er wird dich töten!«

 
     
»FÜGT MAN NUR EINEN EINZIGEN FADEN HINZU, ÄNDERT SICH GLEICH DAS GANZE GEWAND«
     
     
    Eines stand mal fest: in den letzten paar Tagen hatte ich es mit dem Teleportieren wahrhaft übertrieben. Ich zwang mich dazu, erst einmal einige Minuten in der Teleportzone meines Büros zu entspannen, dann raste ich wie ein Dzur auf der Jagd die Treppe hoch. Bevor mein Sekretär mich mit weltlichem Kleinkram belästigen konnte, schoß ich an ihm vorbei und sagte im Vorbeilaufen: »Hol Kragar her. Sofort.«
    Dann ging ich in mein Büro und ließ mich in einen Sessel fallen. Jetzt erst mal scharf nachdenken. Als mein Magen sich wieder beruhigt hatte, kristallisierten sich allmählich die Einzelheiten des Plans heraus. Das Timing würde äußerst präzise sein müssen, aber das war ja nichts Neues. Ein paar Dinge mußte ich noch dahingehend überprüfen, ob sie überhaupt machbar waren, aber das würde ich im voraus erledigen, vielleicht fiel mir dann ja auch etwas ein, wie ich mich um eventuelle Probleme herummanövrieren konnte.
    Außerdem wurde mir bewußt, daß ich mich wesentlich mehr auf andere Leute verlassen mußte, als mir lieb war, aber das Leben steckt nun mal voller Risiken.
    Ich ging meine Liste durch,

Weitere Kostenlose Bücher