Jillian Hunter
einmal die abscheuliche Beschreibung vom Schick- sal seines Bruders, wie Samuel in den Hinterhalt gelockt und brutal getötet worden war, konnte ihn ablenken. Edgars Schmähungen prallten an ihm ab wie Regentropfen an einem Stein.
„Weißt du, wie sein Körper aussah, als man ihn fand, Domi- nic?", fragte der Colonel, während er mit einer Finte angriff.
Dominic verlagerte sein Gleichgewicht und stieß zu. „Viel- leicht solltest du dir lieber Gedanken darüber machen, wie du aussehen wirst, wenn wir miteinander fertig sind."
Zum Kampf trug Edgar nur Stiefel, Hemd und Hosen. Er hat- te die ganze Nacht nicht geschlafen. Seit Stunden war er Hin- weisen gefolgt, die genau das bestätigten, was man in dem rückständigen Dorf Chistlebury die ganze Zeit über behaup- tet hatte.
Stratfield spukte in seinem eigenen Haus. Seine Seele wür- de keine Ruhe finden, bis er seinem Mörder entgegengetreten war.
Natürlich wussten die Tölpel aus dem Dorf nicht, dass Do- minic nie zur Ruhe gebettet worden war. Es war Edgar un-
möglich gewesen, der Beerdigung beizuwohnen, weil er sich zur Zeit des Mordes angeblich in Wales aufgehalten hatte. Wenn er bei dem Begräbnis erschienen wäre, hätte das ver- dächtig ausgesehen, und er hatte dummerweise angenom- men, dass sein Neffe die Stiche, die er ihm versetzt hatte, auf keinen Fall überlebt haben konnte.
Aber der sture Bastard hatte sich geweigert zu sterben, anders als seine beiden Brüder, die sich auf sehr zuvorkom- mende Weise hatten ins Grab befördern lassen. Michael bei ei- nem Unfall, mit dem Edgar nichts zu tun hatte, Samuel durch die Meuchelmörder in Nepal, die für einen Colonel der East India Company gerne saubere Arbeit geleistet hatten.
Mitten im vom Krieg verwüsteten Spanien, in Coruna, hatte Samuel, zu dem Zeitpunkt nur ein unerfahrener Botenjunge, herausgefunden, dass sein Onkel Militärgeheimnisse an die Franzosen verkaufte.
Samuel und sein frecher junger Freund Lord Brandon Bos- castle waren ihm eines Morgens in eine kleine Dorfkirche gefolgt und hatten ihn gesehen, wie er sich mit einem spani- schen Priester unterhalten hatte, der heimlich für die Franzo- sen arbeitete.
Noch am selben Tag hatten die beiden Männer Edgar um eine Erklärung dafür gebeten, warum er sich heimlich mit einem Priester getroffen und sich mit ihm auf Französisch un- terhalten hatte.
In einem Geniestreich hatte er seinen Neffen an die katho- lische Tradition der Familie erinnert. Er praktizierte seinen Glauben nicht offen, er war sogar zur Anglikanischen Kirche übergetreten, um Soldat werden zu können, aber in einem Au- genblick der Schwäche hatte er gedacht, dass ein paar Gebete wohl nicht schaden konnten. Samuel musste das verstehen, er war schließlich sein eigener Neffe, und die Familie war lange katholisch gewesen.
Es war eine glaubhafte Erklärung.
Samuel und Brandon hatten die Geschichte allem Anschein nach für bare Münze genommen und nie wieder nachgefragt. Ein paar Jahre später, als er wütend seinen Posten in der Ar- mee niedergelegt hatte, um eine besser bezahlte Stelle bei der ehrbaren East India Company anzutreten, baten die beiden
abenteuerlustigen Männer darum, sich wieder seinem Regi- ment anschließen zu dürfen.
Damals hatte er nicht den leisesten Verdacht gehegt, dass die scheinbar kindlichen jungen Soldaten vom britischen Geheimdienst dazu beauftragt worden waren, ihm nachzu- spionieren. Sie sollten Beweise dafür sammeln, dass er den Franzosen Informationen verkauft hatte, nachdem er bei der Beförderung, die er verdient zu haben glaubte, übergangen worden war.
Ein junger, unerfahrener Aristokrat, der Wellingtons Wohl- wollen gewonnen hatte, hatte den Posten bekommen, den Edgar sich für sich selbst erhofft hatte. All die Jahre, in de- nen er so gewissenhaft für die Armee gearbeitet hatte, zählten nichts.
Aber durch Dominics Tod war Edgar jetzt kurz davor, alles zu bekommen, was er verdient hatte. Einen Titel, Land, Reich- tum. Verdammt, für diesen Lohn hatte er sein eigen Fleisch und Blut ermordet.
Es störte ihn nicht im Geringsten, dass er Stratfield noch ein zweites Mal töten musste.
24. KAPITEL
Chloe und ihr Onkel waren innerhalb von zwanzig Minuten
an dem verwitterten, steinernen Torhaus von Stratfields An-
wesen angekommen. Während sie noch versuchte, wieder zu
Atem zu kommen, betrachtete sie das elegante elisabethani-
sche Haus. Es schien eine zu friedliche Kulisse für die gewalt-
same Konfrontation zu sein, von der
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