Jillian Hunter
fort. Als Sie und Ihr Onkel kamen, dachte ich, er wäre es."
Sie blickte in sein Gesicht hinauf. „Vielleicht kann ich ihn finden."
„Dominic will nicht, dass Sie sich in Gefahr begeben."
„Ich auch nicht", erklärte ihr Onkel nachdrücklich. „Mir wäre es lieber, wenn du im Torhaus wartest."
„Ich komme sehr gut zurecht. Tu, was du tun musst."
Warten. Nein, sie konnte nicht warten. Jedenfalls nicht drau- ßen, ganz untätig. Sie konnte wenigstens Finley suchen und ihn zu den anderen schicken, um zu helfen. Sie hatte zwar kein besonderes Verlangen danach, Sir Edgar ins Auge zu bli- cken und ihm ihre Rolle in der ganzen Sache zu offenbaren, aber sie musste verhindern, dass er je wieder irgendjemand wehtat, den sie liebte.
Und sie liebte Dominic.
In ihrem Sonntagskleid rannte sie auf das Haus zu, die stei- nerne Treppe vor dem Eingang hinauf und in die mit dunk-
lem Eichenholz getäfelte Eingangshalle. Wie ruhig das Haus wirkte. So leer und still wie eine Gruft.
„Finley?", flüsterte sie und wirbelte herum, als sie hörte, wie die Haustür sich knarrend öffnete.
Hinter ihr war niemand.
Vorsichtig trat sie an den riesigen, kalten Kamin und beug- te sich hinab, um verstohlen einen geschwärzten Schürhaken aufzuheben.
„Wer war das? Wer ist da?"
Keine Antwort.
Sie ging behutsam zurück in die Mitte des Raumes und un- terdrückte einen Aufschrei, als sie auf dem Teppich über die braune Wollmütze eines Mannes stolperte. Ihr wurde übel, als sie auf die kleine Blutlache daneben starrte.
Es war die Mütze des Wildhüters. Chloe konnte sie nicht an- sehen, ohne Finleys ledrige Züge vor sich zu sehen, sein wirres rotes Haar, sein zögerliches Lächeln. Was war nur mit ihm ge- schehen? Hatte er versucht, Dominic zu helfen?
„Wo sind ..." Sie spürte, wie etwas Hartes, Muskulöses kraftvoll gegen ihr Bein drückte, und wirbelte mit hoch erho- benem Schürhaken herum. Sie blickte auf den massigen brau- nen Hund hinunter, der an dem Teppich schnüffelte.
„Ares, nicht du ... doch, du! Du warst an der Tür. Komm mit. Verdien dir die Würste, die du die ganze Zeit frisst. Hilf mir, Dominic und Finley zu finden."
Der Hund führte sie durch den Gang, um die Ecke und in die Bibliothek. Sie sah kein weiteres Blut, aber ihr kam der Gedanke, dass es vielleicht mehr Geheimgänge in dem Haus geben könnte, als Dominic ihr gezeigt hatte.
Die logische Wahl dafür wäre die Bibliothek, wo ein Mann stundenlang unbeobachtet allein sein konnte. Die Tür stand bereits offen. Der Raum roch angenehm nach Brandy und al- ten, ledergebundenen Büchern. Es war ein anheimelnder Zu- fluchtsort. Die schweren Vorhänge waren geschlossen, um das Tageslicht auszuschließen.
Auf dem Boden lagen Papiere verstreut. Ein Stuhl war um- gefallen, als hätte es ein Handgemenge gegeben.
„Dominic?", fragte sie leise. „Finley, sind Sie hier drin?" „Such sie", befahl sie und umklammerte den Schürhaken
mit den behandschuhten Händen.
Nicht der Kamin, dachte sie. Der Hund ging geradewegs am Kamin vorbei, ohne stehen zu bleiben. Sie beobachtete, wie er direkt auf ein Eckregal zuging und dann verschwand.
Das Paneel stand weit offen. Sie folgte dem Hund in die dunkle Öffnung, alle Sinne in Alarmbereitschaft.
„Dominic?", flüsterte sie und blickte in die stickige schwar- ze Leere.
Eine raue, schwielige Hand schloss sich um ihren Knöchel. Sie schrie auf und fiel mit dem Schürhaken nach vorne, bis sie sich die Schulter an einem Balken stieß und ihr Gleichge- wicht wieder fand.
Ares heulte jammervoll in den Schatten. Unter ihr, am un- teren Ende von drei hölzernen Stufen, stöhnte ein Mann. Sie ließ sich auf die Knie herunter und zog das Halstuch aus sei- nem Mund, mit dem er geknebelt worden war.
„Finley", rief sie entsetzt, als er sein ramponiertes Gesicht zu ihr umwandte. „Was ist passiert? Wo ist Lord Stratfield?"
„Mein Messer ist dort drüben in der Ecke. Schneiden Sie meine Hände und Füße frei, damit ich Ihnen helfen kann. Sir Edgar hat mich dabei entdeckt, wie ich herumgeschnüffelt habe, und hat mich überrascht. Das wird nicht noch einmal passieren."
Sie stieg die Treppe herunter und tastete in dem Schmutz nach seinem Messer. „Wo ist Lord Stratfield?"
„In den Schmugglerhöhlen. Ich saß hier hilflos herum und hörte seine Bewegungen. Beeilen Sie sich, Lady Chloe. Schnei- den Sie fester. Sie tun mir schon nicht weh."
25. KAPITEL
Die beiden Männer, Onkel und Neffe, umkreisten einander in der
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