Jillian Hunter
werfen. Als er sie sah, richtete der Mann sich auf und grinste.
„Oh, nein", flüsterte sie erschrocken. Ein weiterer Akteur, um ihr Drama noch verworrener zu gestalten. Sie biss sich auf die Lippe und blickte auf den Mann hinunter, mit dem sie erst vor ein paar kurzen Stunden getanzt und auf skan- dalöse Weise kokettiert hatte. Sie hatte ihm nicht geglaubt, als er gesagt hatte, dass er nicht eher ruhen würde, bis er sie wiedergesehen hatte. Was für ein unheilvoller Anfang für eine Liebesaffäre!
Dominic, der unmittelbar hinter ihr auf und ab ging, ohne jedoch von außen sichtbar zu sein, hielt inne und fuhr herum. Dabei stieß er unsanft gegen sie. „Was ist los?", fragte er. Beim arroganten Klang seiner Stimme versteifte sie sich. Trotzdem fühlte es sich erschreckend angenehm an, seinen starken Körper direkt hinter sich zu spüren. „Sie wissen doch ohnehin alles. Lassen Sie sich selbst etwas einfallen."
Er hob die äußerste Ecke des Vorhanges gerade weit genug, um in den Garten hinunterzuspähen. Dann begann er, leise zu
fluchen. Chloe hob strafend eine Augenbraue, selbst wenn sie schon viel Schlimmeres gehört hatte - schließlich war sie eine Boscastle. Sie hatte sogar selbst schon Schlimmeres gesagt.
„Das ist nicht Ihr Bruder", stellte er zwischen Flüchen fest.
Chloe lächelte. Seine Verzweiflung war ihr eine Genugtu- ung. „Nein, das ist er nicht. Es ist Lord St. John."
„Was, zur Hölle, hat der hier verloren?", verlangte er zu wis- sen.
„Woher soll ich das wissen?", fragte sie mit unschuldigem Blick. „Ich habe ihn heute erst kennengelernt."
„Ach, haben Sie das?", entgegnete er eisig.
„Ja, das habe ich."
„Sie und Ihr Korsett müssen ganz schön Eindruck gemacht haben."
„Haben Sie vielleicht etwas gegen Romantik einzuwenden, Lord Stratfield?"
„In der Tat, das habe ich."
Chloe zögerte. „Nun, manche von uns glauben noch an die Liebe."
„Und manchen von uns, die in ihren Betten ermordet wur- den, sollte man ihren Zynismus nachsehen."
„Sie können nicht gegen die ganze Welt Groll hegen", er- mahnte sie ihn sanft.
Er blickte sie wütend an. „Warum nicht?"
„Nun, weil..."
„Ersparen Sie mir Ihren jugendlichen Idealismus, und se- hen Sie zu, dass Sie Ihren unerwünschten Gast loswerden."
„Welchen?"
„Legen Sie es nicht darauf an", warnte er sie.
Mit einem versonnenen Lächeln blickte Chloe in den Gar- ten hinunter, was bei Dominic eine erneute Litanei von Flü- chen auslöste.
„Werden Sie ihn los", erinnerte er sie mit geschlossenen Zäh- nen.
„Und wie soll ich das anstellen?", fragte sie mit zuckersü- ßer Stimme.
„Hören Sie zunächst einmal auf, ihn wie eine Sirene anzulä- cheln." Er betrachtete die Silhouette ihrer schlanken Gestalt
im Mondlicht und die seidenen Schmetterlinge, mit denen der Rücken ihres Negligés bestickt war. „Ich nehme an, ihn haben Sie auch geküsst", fügte er mürrisch hinzu.
Sie weigerte sich, diese beleidigende Bemerkung mit einer Antwort zu würdigen, obwohl sie genau wusste, dass die Situ- ation wirklich verdächtig aussah. Ein gut aussehender junger Kerl, der so spät Kies gegen ihr Fenster warf. Dominic würde ihr nie glauben, dass sie ihn nicht selbst eingeladen hatte. Ih- re Brüder hätten ihr das auch nicht geglaubt.
„Das ist alles nicht meine Schuld", beharrte sie.
Dominic knurrte.
„Nun, es stimmt." Über die Schulter warf sie ihm einen bö- sen Blick zu. „Ich habe ihn ebenso wenig hierher eingeladen wie Sie."
„Vielleicht sollten Sie Ihre Fenster verschlossen halten", sagte er verärgert. „Sagen Sie, erwarten Sie heute Nacht noch weitere Besucher? Soll ich Tee machen?"
„Nur wenn Sie nach China segeln müssen, um ihn zu ho- len."
Dominic blickte ihre seidenverhüllte Gestalt noch einmal lange an, bevor er fortfuhr, nervös auf und ab zu gehen. Es war wieder typisch für ihn, dass ausgerechnet eine scharfzün- gige Helena von Troja herausfinden musste, dass er nicht tot war. Diese Frau bedeutete Ärger, was, soweit er sich erinnerte, eine Familieneigenschaft zu sein schien. Nun, er konnte nicht noch mehr Ärger brauchen. Und doch war er hier, mitten in einem Mordkomplott, mit der Dorfsirene und dem Dorftrottel und seinem Mörder, der immer noch frei herumlief.
„Warum sind Sie nicht einfach in Ohnmacht gefallen, als Sie die Tür zum Ankleidezimmer geöffnet haben?", fragte er sie. „Das hätte uns beiden eine Menge Kummer erspart." Sie bedeutete ihm mit einer Handbewegung, still zu
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