Jillian Hunter
Aus-
länder, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Duelle zu fechten."
„Würden Sie mich jetzt bitte in Ruhe lassen?", flüsterte sie wütend.
Justin starrte misstrauisch zu ihr hinauf. „Was haben Sie gesagt? Habe ich da eben eine Männerstimme gehört?"
Chloe sah bereits, wie sich all ihre Hoffnungen auf eine schöne Romanze vor ihren Augen in Luft auflösten. In der Ver- gangenheit hatte sie stets die falsche Sorte Mann anziehend gefunden. Dies schien eine Eigenschaft zu sein, die, wie ihre Schwägerin Jane sanft angedeutet hatte, mit ein wenig Ver- nunft behoben werden konnte. Chloe befürchtete insgeheim, dass sie seit dem Tod ihres Vaters und ihres jüngeren Bruders Brandon schwermütig geworden war. Manchmal hatte sie selbst kaum das Gefühl, lebendig zu sein. Sie verstand nicht, warum sie nicht ebenso einfach zufriedenzustellen war wie ihre Freundinnen.
Sie wollte ihre Familie nicht verletzen und auch ihren Ruf nicht ruinieren. Aber es gab Zeiten, in denen ihr alles einfach egal war. Brandon war Anfang des vergangenen Jahres getö- tet worden, und ihr Vater war knapp fünf Monate später an ei- nem Herzanfall gestorben, als die Nachricht vom Tode seines Sohnes in seinem Landhaus angekommen war. Allein Chloe hatte sich damals als einzige von ihren Geschwistern auch dort aufgehalten. Es war ein grauenvoller Schock gewesen, von dem Mord an Brandon zu hören und am selben Tag den Tod ihres Vaters mitzuerleben.
Chloe hatte sich noch immer nicht vollkommen erholt. Und sie glaubte nicht, dass sie sich je davon erholen könnte. Zwar hatten sie und ihr Vater nie ein besonders inniges Verhältnis zueinander gehabt: Er war ein distanzierter, harter Mann ge- wesen, der sich nach dem Tod seiner Frau vor acht Jahren, als Chloe zwölf gewesen war, von seinen Kindern zurückgezogen hatte.
Chloes Welt war zunehmend grau geworden, und wenn sie in Schwierigkeiten geriet, fühlte sie sich irgendwie seltsam lebendig. Auf eine eigenartige Weise war sie wie ein Geist, ge- nau wie ihr Eindringling.
Sowohl sie als auch Dominic Breckland waren vielleicht kör-
perlich lebendig, aber ein essentieller Bestandteil von ihnen war beschädigt, wenn nicht zerstört worden. Chloe konnte nicht erklären, warum sie auch nur das geringste bisschen Sym- pathie für einen Mann hegte, der ihr ganzes Leben ruinieren konnte, während jede andere junge Dame an ihrer Stelle mit Panik reagiert hätte. Aber vielleicht lag es daran, dass sie das Leben mit ihren Brüdern gewöhnt war. Chloes Familie hatte die Konventionen schon immer missachtet.
Was genau der Grund war, warum sie an diesem Abend bei dem Dorfball so stolz darauf gewesen war, das Interesse des unbekümmerten Justin geweckt zu haben. Er war eigentlich gar nicht ihr Typ. Er kam aus einer hervorragenden Familie, trank und spielte nicht, und soweit sie es beurteilen konn- te, schien an ihm rein gar nichts Gefährliches zu sein, selbst wenn er auf die dumme Idee verfallen war, an diesem Abend hierher zu kommen. Aber Leidenschaftlichkeit war nicht im- mer etwas Schlechtes, solange man sie zu beherrschen wuss- te, oder etwa doch?
Ihre Brüder hatten geschworen, dafür Sorge zu tragen, dass sie sich, noch bevor das Jahr vorbei war, einen akzeptablen Gemahl aussuchte. Vielleicht gab es eine Chance, dass sie und Justin heiraten konnten, wenn er wirklich alles war, was er zu sein schien.
Und wenn der sarkastische Teufel, der ihr beinahe wie ein Alb im Nacken saß, nicht alles ruinierte.
„Das ist kein Mann, Justin", erklärte sie mit sanfter Stim- me. „Es ist nur mein Onkel Humphrey."
Die Erwähnung des aufrichtigen Baronets reichte offensicht- lich aus, um Justins Hoffnungen auf eine erfolgreiche mitter- nächtliche Verführung im Keim zu ersticken. Er warf Chloe ein paar Kusshände zu und verschwand prompt unter den Bäumen, während Dominic ihm zufrieden hinterherblickte.
„Was für ein Idiot."
Chloe fuhr herum, um ihn anzusehen. „Ich hätte ihm die Chance geben sollen, mich zu retten. Ich ..."
Ihr wurde plötzlich bewusst, dass er ihr nicht mehr zuhörte. Er blickte mit einer Eindringlichkeit aus dem Fenster, die sie mit Besorgnis erfüllte. Er sah jetzt wieder entschlossen und gefährlich aus.
„Was ist los?", flüsterte sie. „Sehen Sie den Mann, der Sie verfolgt hat?"
„Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe ihn im Wald abge- hängt."
„Machen Sie sich keine Sorgen?"
Dominic blickte sie an. Er war kurzzeitig durch ihre nicht zu leugnende Wirkung auf seine
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