Jillian Hunter
fast verrückt gemacht hatte.
Sie tat nichts von alledem. Es kostete sie Anstrengung ge- nug, ihm überhaupt eine normale Antwort zu geben. Er war in Sicherheit. Er war hier. „Wie nett von Ihnen, mich zu besu- chen, Lord Stratfield."
Er lächelte sie an. „Wie nett von Ihnen, es mir zu gestat- ten."
„Ich habe es Ihnen nicht gestattet..." Aber das hatte sie. Was nützte es, sich etwas vorzumachen? Seit Tagen hatte sie sich nach einem Wort von dem Teufel verzehrt. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und schob sie unter das Bett. Hatte sie daran gedacht, ihr Tagebuch zu verstecken? Ja. Er wusste ohnehin schon genug über sie. Eine Frau musste ein paar Geheimnisse für sich behalten. Vor allem vor ihm.
Er öffnete die Tür des Ankleidezimmers mit einer arrogan- ten, einschüchternden Pose. Langsam ließ er seinen Blick über sie gleiten, als erforsche er jedes Detail ihrer Erscheinung bis hinunter zum Saum ihres gelben Abendkleides aus Musselin. Gefiel sie ihm? Offensichtlich, dem Glänzen seiner bleigrauen Augen nach zu schließen. Ihr wurde heiß, und ihr Atem ging schneller.
„Was haben Sie so lange unten gemacht?", fragte er leise.
Sie runzelte die Stirn. Es sah ihm ähnlich, tagelang zu ver- schwinden und gleichzeitig zu erwarten, dass sie hier saß und am Fenster Trübsal blas. „Mein Bruder Devon war hier, um sich zu verabschieden. Allem Anschein nach ist alles verge- ben und vergessen, und er wurde nach London zurückbeor- dert. Sie können mir nicht mehr damit drohen, ihn auffliegen zu lassen."
Er betrachtete ihr Gesicht. Zwischen ihnen standen nun keine Drohungen mehr, und das wussten sie beide. „War mein Onkel auch da?"
Furchtlos erwiderte sie seinen Blick. Sie schenkte seiner Frage kaum Beachtung, sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen. Plötzlich hatte sie Angst davor, was passieren könn-
te, wenn sie aufhörte, wütend auf ihn zu sein, davor, wie leicht er sie alles andere vergessen machen konnte. „Warum hätte Ihr Onkel dort sein sollen?"
„Er hat das Haus früher am Abend verlassen. Alleine. Ich hatte Sorge, dass er Ihnen vielleicht einen Besuch abstatten will."
Nun schien ihr Herz einen Moment lang stillzustehen. Hatte er sich Sorgen gemacht? War er eifersüchtig? Er, der von sich behauptete, keine anständigen Gefühle zu besitzen? Er war wie ihre Brüder, die es hassten, Schwäche zu zeigen. Aber ... war es möglich, dass sie zu seiner Schwäche geworden war?
„Wir sind uns vor Kurzem auf der Straße begegnet. Er hat behauptet, dass er nach Ihrem Mörder sucht."
„Ist er nicht der vollendete Kavalier?", fragte Dominic düs- ter. „Ich will nicht, dass das Schwein sich irgendwo in der Nähe von Ihnen oder Ihrer Familie aufhält."
„Ich bin selbst nicht besonders gerne in seiner Gesell- schaft", erwiderte Chloe leise. Ihre Wut verdampfte langsam. Wie konnte sie auch länger wütend sein, wenn seine Gegen- wart so viel aufregendere Dinge versprach? Sie wollte ihn be- rühren, ihren Kopf an seine Brust legen und seinen Duft ein- atmen, ihn dazu bewegen, bei ihr zu bleiben.
Eine klagende Stimme, die von draußen zu ihrem Fenster hinaufdrang, rettete sie vor sich selbst. Chloe öffnete erschro- cken den Mund. „Himmel, das hört sich an wie Justin."
Dominic seufzte irritiert. „Das ist Justin."
Sie rauschte an ihm vorbei in das Ankleidezimmer. „Was, glaubt er, tut er da?"
Mit einem boshaften Grinsen auf dem Gesicht drehte Domi- nic sich langsam herum. „Der Trottel wollte mich im Nacht- hemd sehen."
„Was?" Es dauerte einige Minuten, bis sie eins und eins zu- sammengezählt hatte. „Sie machen wirklich nur Schwierig- keiten, Dominic Breckland, vom Anfang bis zum Ende. Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie so etwas tun würden. Was für ein Lump Sie doch sind! Ich meine das ernst."
Sein teuflisches Lachen brannte in ihren Ohren, als sie zum Fenster eilte und wütend die Vorhänge aufriss. „Seien Sie doch ruhig da unten", flüsterte sie und spähte durch die Zweige.
Mit offensichtlicher Enttäuschung blickte Lord St. John zu ihr hoch. „Ich dachte, Sie hätten Ihr Nachthemd angezogen, Chloe. Das sieht aus wie das Kleid, das Sie beim Essen getra- gen haben. Haben Sie mich die ganze Zeit nur geneckt?"
„Sie geneckt?" Chloe drehte den Kopf, um Dominic einen bösen Blick zuzuwerfen. Der zuckte in gespielter Verwirrung mit den Schultern. „Offensichtlich, Justin. Jeder in London weiß, wie gerne ich Leute necke."
Justin warf geschlagen die Hände hoch.
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