Jillian Hunter
genießen.
Und schlussendlich war soeben ein aufregender Neuan- kömmling auf dem Weg nach London in Chistlebury angekom- men. Der Erbe eines Dukes, wie es hieß, der auf der Suche nach einem ruhigen Landhaus war. Die Tatsache, dass dieser faszinierende Abenteurer, Lord Wolverton, einen durch und durch skandalösen Ruf hatte, hinderte die Reihe der heirats- besessenen Mütter nicht daran, ihn ganz oben auf die Liste derer zu setzen, die man beeindrucken musste.
Welche von ihnen wünschte sich nicht insgeheim, dass ih- re Tochter Duchess wurde? Da ließ sich Lord Wolvertons un- durchsichtige Vergangenheit als Söldner ohne viel Aufhebens unter die Orientteppiche seines Hauses in Mayfair kehren. Man konnte seine Taten in fremden Ländern durchaus als heroisch betrachten, wenn man so wollte, und den Gerüch- ten über seine Beziehungen zu Opiumhändlern und Piraten musste man schließlich keinen Glauben schenken.
Was sie betraf, so ignorierte Chloe die ganze Aufregung. Mittlerweile fand sie es recht anstrengend, sich überhaupt an einer zivilisierten Unterhaltung zu beteiligen, und nur sie kannte den wahren Grund für die Anwesenheit des Viscounts im Dorf. Ihre Tante war über Chloes plötzliche Niedergeschla- genheit so besorgt, dass sie Grayson in London geschrieben hatte, um ihn um Rat zu bitten. Ja, die gesamte Familie wusste, dass Chloe seit einiger Zeit etwas launisch war, aber sie hatte bis vor Kurzem noch so glücklich gewirkt, und nun schienen sie und Justin nicht mehr so gut befreundet wie früher.
Am Tag des Balles wachte Chloe auf und beschloss, den ers- ten Menschen zu erwürgen, der sie fragte, ob sie sich besser fühlte. Sie ging direkt zum Ankleidezimmer und öffnete ihre
Truhe, wie sie es jeden Morgen tat. Natürlich gab es kein Zei- chen von ihrem schwer zu fassenden Dominic. Es war unmög- lich, zu wissen, ob und wann sie ihn je Wiedersehen würde.
Das Einzige, was ihre schlechte Laune ein wenig verbes- serte, war, dass sie Brandons Code beinahe geknackt hatte. Sie hatte herausgefunden, welche Ziffern für A und E stan- den, und das würde ihr die Arbeit wesentlich erleichtern. Heath hatte die Kunst der Kryptografie auf der Universität erlernt und seiner Schwester beigebracht, dass die meisten Codes zu Kriegszeiten gar nicht so kompliziert waren, wie man allgemein erwarten würde.
Schließlich gab es mitten auf dem Schlachtfeld normaler- weise nicht genug Zeit, eine Botschaft zu entschlüsseln. Die meisten der Chiffren basierten auf Mathematik und arbeite- ten mit einer Zahlenreihe. Dennoch dauerte es ewig, bis Chloe herausgefunden hatte, dass die Ziffer 2 in der einen Reihe für h stand. In der nächsten Reihe, drei Ziffern weiter unten, war 2 zu j geworden.
Es benötigte eine gewisse geschärfte Wahrnehmung und me- thodische Fähigkeiten, um Muster zu erkennen, die andere nicht gesehen hätten. Sie freute sich nicht gerade darauf, Heath zu erklären, wie die Botschaft in ihren Besitz gekom- men war.
Dominics Geheimnis hatte ihr Leben auf eine Weise kompli- zierter gemacht, die keiner von ihnen hatte voraussehen kön- nen. Der Tag verstrich langsam. Als der Abend hereinbrach, badete sie und zog ihr Kostüm für den Maskenball an, ein Kleid aus rosa Gaze mit silbernen Papierflügeln, in dem sie die Feenkönigin Titania darstellen sollte. Selbst das Kränz- chen aus rosa Rosenblüten in ihrem Haar wirkte für ihr Emp- finden irgendwie falsch. Sie fühlte sich nicht im Geringsten luftig oder verspielt. Am liebsten wollte sie irgendjemandem den Kopf abreißen.
Sie sah keinerlei Grund, sich auf den Ball zu freuen.
„Zieh doch heute dein skandalöses Korsett an", dräng- te Pamela sie, während die Zofe sie frisierte. „Vielleicht be- kommst du dann bessere Laune."
Und Chloe tat es, entweder aus Protest dagegen, dass Do- minic sie im Unklaren ließ, oder als Talisman, um ihn dazu
zu bringen, zu ihr zurückzukehren. Sie konnte sich nicht ent- scheiden, welche der beiden Möglichkeiten zutraf.
„Nun gut", flüsterte sie, als Pamela und sie sich zusam- men in die Kutsche drängten, um zur Versammlungshalle zu fahren. „Ich habe deinen Rat befolgt. Ich trage ein gewisses beschämendes Kleidungsstück unter meinem Kostüm, aber wage nicht, es irgendjemandem zu sagen."
Pamela, die als mittelalterliche Prinzessin verkleidet war, grinste in heimlicher Zustimmung. „Vielleicht gefällst du ja dem künftigen Duke."
Chloes Herz setzte ein paar Schläge aus. „Wovon redest du?"
„Von dem
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