Jim Knopf 02 - Jim Knopf und die Wilde 13
»Was?«
»Da unter dem Sofa guckt doch was raus! Ich glaub, es is' eine Schwanzspitze.«
»Tatsächlich«, raunte Lukas, »du hast recht.« »Was machen wir jetzt?«, fragte Jim leise.
Lukas überlegte. »Wahrscheinlich schläft das Ungetüm. Wir werden es überrumpeln, ehe es noch recht aufgewacht ist.«
»In Ordnung«, flüsterte Jim und wünschte im Stillen, das Ungetüm möge einen möglichst tiefen Schlaf haben und überhaupt erst aufwachen, wenn es an allen Gliedern gefesselt wäre.
Die beiden Freunde schlichen um die Ecke des Hauses bis zur Tür, die ein wenig offen stand. Schnell und geräuschlos huschten sie durch das erste Zimmer und traten in die Küche. Vor ihren Füßen lag die Schwanzspitze, die unter dem Sofa hervorkam.
»Auf eins, zwei, drei!«, flüsterte Lukas seinem Freund zu. Beide bückten sich nieder, bereit zuzupacken.
»Aufgepasst!«, raunte Lukas. »Eins - zwei - drei!«
Im gleichen Augenblick ergriffen sie beide den Schwanz und zogen aus Leibeskräften daran.
»Ergib dich!«, rief Lukas, so laut und drohend er konnte. »Ergib dich oder du bist verloren, wer du auch sein magst!«
»Hilfe!«, quiekte eine ganz sonderbare Ferkelstimme unter dem Sofa. »Gnade! Oh, ich armer Wurm, ich armer Wurm, warum verfolgen mich alle? Bitte, bitte, tu mir nichts, du schrecklicher Riese!«
Jim und Lukas hörten auf zu ziehen und blickten sich verblüfft an. Diese Stimme kannten sie doch! Es war dieselbe, die damals in dem kleinen erloschenen Vulkan gejammert hatte - es war die Stimme des Halbdrachen Nepomuk!
»Hallo!«, rief Jim und bückte sich, um unter das Sofa zu sehen. »Wer is' denn da? Wer hat da eben ›armer Wurm‹ gesagt?«
»Donnerwetter!«, fügte Lukas lachend hinzu. »Sollte dieser arme Wurm am Ende unser Freund Nepomuk sein?«
»Ach«, kam die ängstliche Ferkelstimme unter dem Sofa hervor, »woher kennst du denn meinen Namen, schrecklicher Riese? Und warum redest du mit zwei verschiedenen Stimmen?«
»Weil wir kein Riese sind«, antwortete Lukas, »sondern deine beiden Freunde Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer.«
»Ist das wirklich wahr?«, fragte die Ferkelstimme zweifelnd. »Oder ist das nur eine Riesenlist, um mich aus meinem Versteck zu locken? Falls es nur eine List ist, werde ich nicht darauf hereinfallen, dass ihr es nur wisst! Also sagt mir die Wahrheit, ob ihr es wirklich seid oder ob ihr nur so tut!«
»Wir sind es wirklich«, rief Jim. »Komm heraus, Nepomuk!«
Da erschien unter dem Rand des Sofas zunächst ein großer dicker Kopf, der entfernt an ein Nilpferd erinnerte, nur dass er gelb und blau getüpfelt war, ein Kopf, in welchem zwei kugelige Augen saßen, die Jim und Lukas forschend anblickten. Als Nepomuk sich davon überzeugt hatte, dass es wirklich die beiden Lokomotivführer waren, die vor ihm standen, zog sich sein breites Maul zu einem überraschten und freudigen Lächeln auseinander. Er krabbelte ganz unter dem Sofa hervor, stellte sich breitbeinig vor die Freunde hin, stemmte die kurzen Arme in die Seiten und quiekte:
»Hurrrrra! Ich bin gerettet! Wo ist dieser lumpige Riese? Wir wollen ihn sofort zu Mus zerstampfen!«
»Immer langsam«, sagte Lukas, »der Riese ist ganz in der Nähe.«
»Hilfe!«, schrie Nepomuk sofort und strebte wieder unter das Sofa.
Aber Lukas hielt ihn fest und fragte:
»Was willst du denn unter dem Sofa, Nepomuk?«
»Mich verstecken. Der Riese ist nämlich so riesig, dass er hier nicht reinkommen kann, er kommt gar nicht durch die Tür und unter das Sofa erst recht nicht. Lasst mich doch los!«
»Aber«, platzte jetzt Jim los, »dieses Haus gehört ihm doch. Es ist seine Wohnung!«
»Wem seine?«, erkundigte sich Nepomuk ängstlich.
»Von Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen«, erklärte Jim.
Nepomuk erbleichte, so weit das bei ihm möglich war. Seine blauen und gelben Tüpfelchen wurden hellgelb und hellblau. »Ach du meine Güte!«, schrie er ganz außer sich. »Aber warum - warum hat er denn dann nicht - wieso hat er mich nicht gefangen?«
»Weil er schreckliche Angst vor dir hatte«, antwortete Lukas.
Nepomuks Augen wurden rund und glänzend.
»Angst vor mir?«, fragte er ungläubig. »Ist das wirklich wahr? Der große schreckliche Riese hatte Angst vor mir? Hat er gemeint, dass ich ein gefährlicher, bösartiger Drache bin?«
»Ja«, erwiderte Jim, »das hat er gemeint.«
»Ich glaube«, sagte Nepomuk, »dieser Riese ist ein sehr netter Mann. Könntet ihr ihm vielleicht meine besten Grüße
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