Jim Knopf 02 - Jim Knopf und die Wilde 13
Jim Knopf«, fragte Lukas, »wo ist er?«
Keine Antwort.
»Jim!«, rief Lukas und begann wie wahnsinnig an seinen Fesseln zu zerren. »Ist er nicht hier? Hat ihn jemand gesehen? Wo ist der Junge? Ist ihm was geschehen? Wo ist mein Freund?«
Die Fesseln schnitten sich tief ein und Lukas gab den Versuch, sich zu befreien, auf. Bedrücktes Schweigen herrschte in dem finsteren Raum.
Nach einer Weile schluchzte Li Si auf und stammelte: »Jim! Lieber Jim! Warum habe ich nicht auf dich gehört! Ach, Jim, wie konnte ich nur so hässlich zu dir sein ...«
»Zu spät, Li Si«, sagte Lukas mit erstickter Stimme, »zu spät!«
Jim saß oben in der Takelage zwischen den blutroten Segeln und fror. Seine durchnässten Kleider klebten an seinem Leib, die Zähne klapperten ihm und mit klammen Gliedern hielt er sich an den Seilen fest. Noch immer pfiff der Taifun mit unverminderter Heftigkeit über die donnernden Wogen. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Viel entsetzlicher war, dass es in dieser Höhe so gewaltig schaukelte. Jim wusste manchmal kaum noch, wo oben und unten war, und ihm wurde nach und nach so sterbensübel und elend, wie noch nie in seinem Leben. Aber mit der Entschlossenheit der Verzweiflung klammerte er sich fest, denn die Piraten durften um keinen Preis darauf aufmerksam werden, dass er hier oben saß, sonst war alles verloren! Er war der Einzige, der die Gefangenen vielleicht noch befreien konnte.
Jim biss die Zähne zusammen. Er hoffte, dass der Sturm irgendwann einmal wieder aufhören würde. Und hatte der Drache nicht gesagt, das Ziel der »Wilden 13« seien die Eisernen Klippen? Vielleicht konnten Nepomuk oder Uschaurischuum helfen. Wenn Jim geahnt hätte, wohin das Schiff wirklich fuhr, hätte er vielleicht nicht die Kraft gehabt durchzuhalten. Die Seeräuber hatten ihren Plan, Frau Mahlzahn zu treffen, längst aufgegeben. Dieser Überfall durch das getarnte Schiff hatte sie misstrauisch gemacht. Irgendetwas sagte ihnen, dass dahinter der Drache stecken musste.
Das Schiff mit den blutroten Segeln fuhr vom Sturmwind getrieben in sausender Fahrt immer weiter nach Süden - dem schrecklichen »Land, das nicht sein darf« entgegen!
Einen ganzen langen Tag dauerte diese schaurige Reise, denn die Heimat der »Wilden 13« lag irgendwo in der Nähe des Südpols. Ein anderes Schiff hätte dazu vielleicht Wochen gebraucht, aber dieses Piratenschiff legte die riesige Strecke zurück, noch ehe die Nacht hereinbrach.
Zuerst erblickte Jim fern am Horizont nur undeutlich etwas, das aussah wie eine riesenhafte schwarze Säule, die aus dem sturmzerwühlten Meer bis in die finsteren Wolken hinaufragte. Eine Säule von solcher Größe und Dicke, wie sie noch nie ein Mensch gesehen hat. Dann sah er, dass dieser gewaltige Pfeiler ununterbrochen von Blitzen durchzuckt war und sich mit rasender Geschwindigkeit drehte. Und nun hörte er auch das unbeschreibliche Brausen, das von diesem Pfeiler ausging wie das tiefste, alles durchbebende Dröhnen unzähliger Orgeln. Und plötzlich wusste Jim, was es war, worauf das Schiff zufuhr. Lukas hatte ihm einmal erzählt, was eine Wasserhose ist: Ein Hurrikan, ein Wirbelsturm von solcher Gewalt, dass er das Wasser des Meeres mit sich in die Höhe reißt und bis in den Himmel hinaufschleudert.
»Sie werden doch nicht dort hineinfahren!«, war alles, was Jim noch denken konnte. Aber fast im gleichen Augenblick war das Schiff schon dort. Und nun erwies sich die fabelhafte, schier unglaubliche Segelkunst der »Wilden 13«, die auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen hatte. Zuerst fuhren sie ein paar Mal mit wachsender Geschwindigkeit um die wirbelnde Sturmsäule herum. Als sie die gleiche Schnelligkeit erreicht hatten, steuerten sie das Schiff plötzlich in den Wirbel hinein und ließen es mitreißen. Langsam hob es sich nun in die Höhe und wurde immer weiter ins Innere der Wasserhose hineingesaugt. Dieses Innere war hohl wie bei einem riesenhaften Rohr. Plötzlich setzte das Schiff auf festem Grund auf und schoss in einer Art Gleitbahn dahin, die schneckenförmig um einen spitzen Felsenberg aufwärts führte. Da im Inneren des Hurrikans Windstille herrschte, glitt das große Schiff auf der Gleitbahn weiter, bis sein Schwung zu Ende war, dann kam es zum Stehen. Jim, der fast betäubt in den Seilen der Takelage hing, brauchte eine Weile, bis er wieder so weit bei Sinnen war, dass er umherschauen konnte. Der Felsenberg, an dem sie gelandet waren, ragte mit vielen unheimlichen Zacken
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