Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
ihm?«
Sophia schüttelte den Kopf. Ihr Haar war inzwischen getrocknet und noch lockiger als vorher. »Habe ich noch nie gesehen. Kenne auch den Namen nicht. Man erzählt sich, er sei wirklich weiß – fast schon wie ein Albino – und ausgesprochen geschickt mit dem Messer.«
»Aha«, sagte Kurtz.
»Genau – aha.« Sophia seufzte. »Wenn Papa die Dinge hier in Buffalo immer noch in der Hand hätte, würden die beiden wie Fliegen zerquetscht, sobald sie einen Fuß in die Stadt setzen. Aber ich glaube nicht, dass Papa überhaupt von ihnen weiß.«
»Warum ist dein Vater eigentlich aus dem hiesigen Geschäft rausgedrängt worden?«
Sophia seufzte. »Hat Skag dir von der Schießerei erzählt?«
»Nur, dass es sie gab, keine Einzelheiten.«
»Also, die Geschichte ist recht simpel. Vor ungefähr acht Jahren befanden sich Papa und zwei seiner Leibwächter auf der Rückfahrt von einem Restaurant unten in Boston Hills, als plötzlich mehrere Autos versuchten, sie in die Zange zu nehmen. Papas Fahrer war natürlich gut geschult und der Wagen mit kugelsicherem Panzerglas ausgerüstet, aber als der Chauffeur rückwärts aus der Zwickmühle ausbrechen wollte, nahm einer der Schützen mit einer Schrotflinte das Glas auf der Fahrerseite unter Dauerbeschuss. Es gab schließlich nach und dann durchsiebten sie das Wageninnere mit einem Maschinengewehr. Papa bekam nur ein paar Kratzer ab, aber seine Männer starben an Ort und Stelle.«
Sie machte eine Pause und schnippte Asche in den emaillierten Aschenbecher.
»Also krabbelte Papa über die Rückbank, setzte sich hinters Lenkrad und fuhr den Cadillac selbst nach Hause«, setzte sie ihre nüchterne Schilderung fort. »Dann erwiderte er das Feuer mit Lesters – das war der Fahrer – Neun-Millimeter-Pistole. Er hat mindestens einen der Schützen eiskalt erwischt.«
»Waren die weiß oder farbig?«
»Weiß. Na, jedenfalls wäre Paps fast ungeschoren entkommen, aber jemand hat mit einer 357er Magnum durch den Kofferraum gefeuert. Die verdammte Kugel schoss durchs Heck, den Reservereifen und beide Sitze in Papas Rücken, einen halben Zentimeter neben dem Rückgrat. Und das trotz der Panzerung.«
»Hat Don Farino je rausbekommen, wer für den Anschlag verantwortlich war?«
Sophia zuckte mit den Schultern, was ihre zartbraunen Nippel zum Tanzen brachte. »Es gab eine Menge Fragen, einige Verdächtige, aber keine absolute Gewissheit. Wahrscheinlich waren es die Gonzagas.«
»Das ist die andere italienische Mafia-Familie, die ihre Geschäfte im westlichen Teil von New York macht, richtig?«
Sophia runzelte die Stirn. »Bei uns sagt man nicht ›italienische Mafia‹.«
»Von mir aus. Die Gonzagas sind die einzigen anderen spaghettifressenden Gangster, denen es gestattet ist, Geschäfte in diesem Teil des Staates zu machen. Ist das besser?«
»Besser.«
»Und es ist jetzt ungefähr sechs Jahre her, seit das, was von den Farinos noch übrig ist, tatsächlich etwas zu melden hatte?«
»Ja. Alles ging rapide bergab, nachdem Papa im Rollstuhl gelandet ist.«
Kurtz nickte. »Dein ältester Bruder, David, hat versucht, die Familie bis ungefähr Mitte der 90er im Geschäft zu halten. Dann kam er vollkommen zugekokst bei einem Autounfall ums Leben. Deine ältere Schwester ging nach Italien in ein Kloster, habe ich gehört.«
Sophia nickte.
»Und dann hat Little Skag eine Zeit lang so viel Mist gebaut, dass die anderen Mafiosi-Klans spontan beschlossen haben, es sei an der Zeit für deinen Vater, sich zur Ruhe zu setzen. Little Skag dröhnt sich zu, attackiert seine brasilianische Freundin mit einer Schaufel und dann bist nur noch du da, allein in diesem großen Haus mit deinem Vater.«
Sophia schwieg.
»Um was ging’s da eigentlich?«, fragte Kurtz. »Ich meine, womit waren die ausgeraubten Laster beladen?«
»Videorekorder, DVD-Player, Zigaretten, der übliche Kleinkram. Die New Yorker Familien sind fett im Geschäft mit Raubkopien und dafür brauchen sie Tausende von Maschinen. Was vom Tisch fällt, werfen sie Papa hin. Die Zigaretten sind eher ein Relikt aus den guten alten Tagen.«
»Unverzollte Zigaretten bringen ordentlich Geld ein«, bemerkte Kurtz.
»Nicht in der geringen Menge, die sie uns überlassen.« Sophia glitt aus dem Bett und spazierte zum Wandschrank. Auf einem der Lederstühle am Fenster lag ein flauschiger Bademantel, aber sie ignorierte ihn und fühlte sich offenbar nackt wohler. »Du musst von hier verschwinden. Die Sonne geht jeden Moment
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