Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
erstaunlicherweise brach er nicht zusammen. Auf diese Entfernung und mit dieser Waffe musste die Wucht unvorstellbar groß gewesen sein – so als rammte einem Mark McGwire einen Baseballschläger mit voller Kraft gegen den ungeschützten Brustkorb – ganz sicher hatte er sich ein paar Rippen gebrochen, aber Warren hielt sich auf den Beinen. Lediglich seine Arme ruderten wild durch die Luft. Im zunehmenden Licht sah Kurtz die weit aufgerissenen, wutverzerrten Augen des anderen. Warren stürzte sich erneut auf ihn.
Kurtz gab zwei weitere Schüsse ab. Der massige Mann warf seinen Kopf in den Nacken und knurrte wie ein Bär, wurde weitere zwei bis drei Meter in Richtung des plastikverkleideten Abgrunds zum Innenhof zurückgeschleudert.
»Halt!«, forderte Kurtz.
Warren griff trotzdem an.
Kurtz feuerte. Warren stolperte zurück, dann stürzte er sich wieder auf ihn, als stemme er sich gegen einen Orkan.
Kurtz schoss ein weiteres Mal. Wieder ein Rückwärtstaumeln. Der Riese war noch fünf Schritte von der Kante der Zwischendecke entfernt, seine gewaltige Silhouette hob sich vor der helleren Plastikfolie der Wand ab. Speichel und Blut spritzten aus seinem weit aufgerissenen Mund. Warren brüllte wie ein wildes Tier.
»Scheiß drauf«, sagte Kurtz und feuerte noch zweimal, zielte beide Male weit oben gegen die Kevlarweste.
Warren wurde nach hinten geschleudert wie ein eingeschlagener Nagel. Der große Mann prallte gegen das Plastik, die Tackerklammern lösten sich, er schwankte, seine Finger krallten sich in das durchhängende Plastik, dann stürzte er nach hinten über die Kante und riss dabei zwölf Quadratmeter Plane mit sich hinunter.
Kurtz trat an die Kante der Zwischendecke heran und sah der eingewickelten Gestalt zu, wie sie langsam durch den Abgrund des Innenhofs hinuntersegelte. Als der Komplize im Erdgeschoss mit seinem automatischen Gewehr das Feuer eröffnete, zog er sich hastig aus dem Schussfeld zurück. Kurtz bemerkte gerade noch, dass Andrew nicht auf ihn, sondern auf Warren zielte, bevor dieser mit einem lauten Schlag auf dem Boden zerschellte.
Andrew kreischte und rannte aus dem Innenhof.
Kurtz schnappte sich den M4-Karabiner und joggte durch den kurzen Zugangskorridor zur Ostseite. Dort hatte er ein paar Steine aus der Wand herausgestemmt und sich so eine Art Schießscharte gebaut, durch die er den östlichen Eingang des Gebäudes und die Straße unten anvisieren konnte.
Der schwache Lichtschein kurz vor Einsetzen der Dämmerung reichte Kurtz aus, um zu sehen, wie Andrew wie von Furien gejagt auf den Maschendrahtzaun an der östlichen Grenze des Grundstücks zuhielt. Mit einem fast schon frustriert klingenden Seufzer positionierte Kurtz die M4 in der Wandöffnung und benutzte die Zieloptik, um die rennende Gestalt ins Visier zu nehmen. Er holte tief Luft, aber noch bevor er den Abzug betätigen konnte, erklang plötzlich das Knattern von automatischem Gewehrfeuer und Andrew wurde zu Boden geschleudert, als hätte ihn eine gewaltige unsichtbare Hand weggefegt.
Kurtz schwenkte das Sichtgerät zu den geparkten Fahrzeugen auf der anderen Straßenseite und nahm dort Bewegungen wahr. Mehrere dunkle Gestalten hinter den Autos.
Kurtz spürte, wie sein Herz heftig hämmerte. Wenn er jetzt von Malcolm und seinen Männern angegriffen wurde, befand er sich in einer schier ausweglosen Lage. Situationen wie bei der Schlacht von Alamo hatten ihm noch nie gefallen.
Einer der Männer lief nach vorn, kroch durch ein Loch im Zaun und näherte sich Andrews niedergestrecktem Körper. Der Schütze hielt sich ein Funkgerät vor die Lippen, aber es arbeitete offensichtlich auf einer anderen Frequenz, als sie Warren und seine Kumpel verwendet hatten. Der Mann kehrte zu den geparkten Autos zurück und mehrere Männer kletterten auf die Rückbänke eines Astro-Vans.
Kurtz benutzte das Zielfernrohr, um das Nummernschild abzulesen.
Das Gefährt setzte sich in Bewegung und verschwand außer Sichtweite.
Kurtz harrte noch weitere 30 Minuten an seiner Schießscharte aus, bis es hell genug war, damit er seine Umgebung deutlicher erkennen konnte. Er lauschte angestrengt, aber im Kühlhaus war nur das Tropfen von Wasser und das gelegentliche Rascheln von zerrissenem Plastik auf der Empore zu hören.
Schließlich ließ Kurtz die M4 fallen, stieg auf dem Weg zum Treppenhaus über die Leichen von Douglas und Darren hinweg und erreichte die darunterliegende Etage. Er ließ nichts außer einer alten Matratze, die er in einem
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