Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
zurück in ihre winzige Handtasche und setzte sich wieder. Emilio spülte sich mit seinem Verdauungslikör den Mund aus, als handelte es sich um Mundwasser.
»Das war kurz«, sagte er.
»Aber gut«, sagte Angelina.
Die Kellnergorillas brachten Kaffee in einer silbernen Kanne und fünf Sorten Gebäck.
Am späten Nachmittag, es schneite stärker und war fast dunkel, fuhr Kurtz nach Norden ins 30 Minuten entfernte Lockport. Das Haus an der Locust Street sah gemütlich, bürgerlich und sicher aus – in beiden Etagen brannte Licht –, als Kurtz daran vorbeifuhr, wendete und in der nächsten Straße vor einem einstöckigen Haus bremste, das zum Verkauf stand. Donald Rafferty kannte Kurtz’ Volvo zwar nicht, aber in dieser Gegend fiel ein Auto auf, wenn es in einer Wohnstraße parkte und der Fahrer noch längere Zeit hinter dem Steuer sitzen blieb.
Kurtz hatte ein Gerät von der Größe eines Gettoblasters auf dem Beifahrersitz stehen und trug Kopfhörer. Für einen Passanten sah er aus wie jemand, der an einem Freitagnachmittag auf einen Immobilienmakler wartete und zum Zeitvertreib ein bisschen Musik hörte.
In Wahrheit handelte es sich bei dem Gettoblaster um einen Funkempfänger mit kurzer Reichweite, der auf die fünf Wanzen justiert war, die er vor drei Monaten in Raffertys und Rachels Haus versteckt hatte. Das Gerät fraß damals seine gesamten Ersparnisse auf. Dabei war nicht mal eine Bandaufzeichnung integriert – er hatte sowieso weder die Zeit noch das Personal, um die Bänder abzuhören –, aber immerhin konnte er jedes Mal, wenn er in der Gegend war, dem Geschehen im Haus lauschen. Er machte häufig einen Abstecher nach Lockport und die regelmäßigen abendlichen Stichproben verrieten ihm alles, was er wissen musste.
Rachel, Sams 14-jährige Tochter, war ein intelligentes, ruhiges, sensibles und ziemlich einsames Kind. Sie versuchte immer wieder, ein töchterliches Verhältnis zu Rafferty, ihrem Adoptivvater, aufzubauen, doch der war entweder zu beschäftigt, zu abgelenkt von seiner Zockerei oder zu besoffen, um es zu bemerken. Er behandelte Rachel nicht schlecht, es sei denn, man betrachtete absolute Gleichgültigkeit als schlechte Behandlung.
Sam war lediglich zehn Monate lang mit Rafferty verheiratet gewesen – und das vier Jahre vor Rachels Geburt, mit der Donnie Rafferty absolut nichts zu tun hatte –, doch Sam hinterließ keine anderen Angehörigen, als sie vor zwölf Jahren ermordet wurde. Deshalb entschieden die Behörden, Rafferty das Sorgerecht zu übertragen. Sams Lebensversicherung und ihre weiteren Hinterlassenschaften erschienen dem Kerl offensichtlich lukrativ genug, um schließlich einen Antrag auf Adoption von Rachel zu stellen.
Das Geld hatte für die Abzahlung von seinem Haus und Auto gereicht, mit dem Rest beglich er einen Teil der Spielschulden. Aktuell fuhr Rafferty wieder beträchtliche Verluste beim Pokern ein und griff kräftig zur Flasche. Außerdem schlief er mit gleich drei Frauen, von denen zwei nach einem ausgeklügelten Zeitplan mit ihm die Nächte in Lockport verbrachten, sodass sie niemals auf Beweise für die Existenz der jeweils anderen stoßen konnten. Die dritte war eine mit Koks dealende Hure auf der Seneca Street. Sie wusste nicht, wo Rafferty wohnte, oder es war ihr schlichtweg egal.
Kurtz zappte durch die Funkkanäle seiner fünf Wanzen. Donald Rafferty hatte gerade das Telefon aufgelegt, nachdem er seinem Buchmacher, einem schmierigen Typen, den Kurtz noch aus seiner Zeit als Privatdetektiv kannte, versprochen hatte, ihm am Montag die nächste Rate zu zahlen. Jetzt rief Rafferty DeeDee an, Freundin Nummer zwei, und schmiedete Pläne fürs Wochenende. Diesmal wollten sie zusammen wegfahren, rauf nach Toronto, was bedeutete, dass Rachel wieder einmal allein zu Hause sitzen würde.
Kurtz hatte Rachels Zimmer nicht verwanzt, aber er schaltete kurz noch auf die Abhörsender im Wohnzimmer und in der Küche. Dort vernahm er die leisen Geräusche von Tellern, die abgespült und in die Spülmaschine gestellt wurden.
Rafferty beendete das Telefonat, nachdem er DeeDee eingeimpft hatte, sie solle unbedingt »das kleine Lederding mitbringen«, dann ging er in die Küche – Kurtz konnte seine Schritte hören. Ein Schrank wurde geöffnet und geschlossen; Kurtz wusste, dass Rafferty seinen Alkohol in der Küche und sein Kokain in der obersten Schublade der Kommode aufbewahrte. Noch ein Schrank. Das empfindliche Mikrofon fing auf, wie das Getränk – Rafferty hatte
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