Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
Herpetologe, Spezialist für Kernspintomografie, als Computerdesigner, preisgekrönter Immobilienmakler, politischer Berater, als Fluglotse, Feuerwehrmann und in einem halben Dutzend weiterer Berufe. Für keinen davon verfügte er über die notwendige Ausbildung, sah man von seinen regelmäßigen Besuchen in der Bibliothek ab.
Nicht Geld regierte die Welt, wusste James B. Hansen. Es waren vielmehr Augenwischerei und Leichtgläubigkeit.
Hansen hatte in mehr als zwei Dutzend amerikanischen Großstädten gelebt und zwei Jahre in Frankreich verbracht. Er mochte Europa nicht. Die Erwachsenen waren dort zu arrogant, die kleinen Mädchen zu weltgewandt und Handfeuerwaffen entschieden zu schwer zu bekommen. Aber die flics dort waren genauso dämlich wie die Cops in den USA. Wenigstens ließ sich über das Essen nichts Negatives sagen.
Seine Karriere als Serienmörder begann erst, als er 23 Jahre alt war, obwohl er vorher schon Menschen getötet hatte. Hansens Vater hinterließ ihm weder eine lukrative Lebensversicherung noch Ersparnisse, sondern lediglich einen Haufen Schulden und seinen illegal erworbenen M1-Karabiner aus der Zeit des Koreakriegs und drei Streifen Munition. Einen Tag nachdem Mrs. Berkstrom, seine Englischlehrerin in der neunten Klasse, mit Hansens Tierfolteraufsatz zum Rektor gerannt war, lud Hansen den Karabiner, versteckte ihn in der alten Golftasche seines Vaters zwischen den Schlägern und nahm das Ding mit zur Schule. Damals gab es noch keine Metalldetektoren in den Lehranstalten.
Hansens Plan war ebenso simpel wie elegant: Er wollte zuerst Mrs. Berkstrom, den Rektor und vor allem diesen Verräter von Schulpsychologen erschießen, der ihn zunächst für ein Eliteinternat empfohlen hatte und dann für eine intensive psychologische Therapie. Anschließend wollte er sich dann alle Klassenkameraden vornehmen, bis ihm die Munition ausging. James B. Hansen hätte die Amokläufe, die an der Columbine High School ihren Anfang nahmen, 35 Jahre früher lostreten können. Allerdings hätte er den Selbstmord ausgespart und einfach nur versucht, so viele Menschen wie möglich zu töten – inklusive seiner hustenden, keuchenden, nutzlosen Mutter –, um sich anschließend wie Huckleberry Finn aus dem Staub zu machen. Nun, vielleicht nicht unbedingt an Bord eines Schaufelraddampfers auf dem Mississippi …
Doch das Aufeinandertreffen seines Genie-IQ mit der Tatsache, dass zum Auftakt Sport auf dem Stundenplan stand – Hansen wollte seinen Amoklauf nicht in albernen Turnhosen durchziehen –, ließen ihn noch einmal darüber nachdenken. Er schleppte die Golftasche in der Mittagspause nach Hause zurück und verstaute den M1 wieder in seinem Versteck im Keller. Er wusste, er würde später noch genug Zeit haben, mit allen abzurechnen.
Und so war Hansen zwei Monate nach dem Begräbnis seiner Mutter und dem Verkauf ihres Hauses in Kearney und einen Monat, nachdem er der Universität ohne Nachsendeadresse verlassen hatte, mitten in der Nacht in seine Heimatstadt zurückgekehrt, wartete, bis Mrs. Berkstrom im trüben Licht eines Wintermorgens in Nebraska zu ihrem Wagen ging, und schoss ihr dann mit dem M1, den er später auf dem Weg nach Osten in den Platte River warf, zweimal in den Kopf.
Seinen Geschmack am Vergewaltigen und Töten junger Mädchen hatte er mit 23 entdeckt, nach dem Scheitern seiner ersten Ehe. Seither war James B. Hansen siebenmal verheiratet gewesen, doch die wirkliche sexuelle Befriedigung hob er sich für seine Episoden mit Mädchen im Teenageralter auf. Ehefrauen waren eine prächtige Tarnung und Teil der Identität, die er jeweils annahm, doch ihre mittelalten Fettpolster und müden, verbrauchten Körper übten keinerlei Reiz auf ihn aus. Hansen betrachtete sich als Connaisseur von Jungfrauen. Und panikerfüllte Jungfräulichkeit war aus seiner Sicht vergleichbar mit dem Bouquet und Aroma der erlesensten Weine.
Die gesellschaftliche Ächtung von Pädophilie bestärkte James B. Hansen in seiner Ansicht, dass die Menschen vor dem, was sie sich am meisten wünschten, zugleich am stärksten zurückschreckten. Seit undenklichen Zeiten gierten Männer nach jungen und unberührten Mädchen, um sie mit ihrem Samen zu befruchten – Hansen befruchtete allerdings niemanden. Er achtete sorgfältig darauf, stets Kondome und Latexhandschuhe zu benutzen, seit sich die DNS-Analyse zunehmend durchsetzte. Doch wo andere Männer nur harmlos ihre Wichsfantasien befriedigten, schritt James B. Hansen direkt zur
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