Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
Alte leckte sich die Lippen und versuchte, sich zu sammeln. Er stierte die 38er an. Hansen ließ den Lauf etwas sinken.
Als wittere er eine Chance, schoss die Hand des alten Mannes in seinen Mantel, um nach etwas zu greifen.
Ohne zu überlegen, hob Hansen die Waffe und drückte zweimal ab. Er traf den Obdachlosen in die Brust und am Hals. Der Alte flog zurück wie ein Lumpenbündel. Einen Moment lang atmete er noch, das angestrengte Krächzen klang in der kalten Dunkelheit der Hütte hoch und gebrochen und obszön, doch dann hörte das Atmen auf. Hansen sicherte die 38er wieder, steckte den Kopf aus der Hütte und blickte sich um – da war niemand, der den Schuss gehört haben konnte. Gerade außer Sichtweite rumpelten und donnerten die Züge auf den Betriebshof. Hansen kauerte sich neben die Leiche. Er musste den Toten durchsuchen, aber er würde diese schmierigen, verlausten Lumpen nicht anrühren.
Hansen fand einen Stock, mit dem der alte Mann wahrscheinlich seine Suppe umgerührt hatte, und als er damit den schmuddeligen Mantel aufschob, begriff Hansen, dass die Hand des Penners nicht nach einer Waffe, sondern nach einem Bleistiftstummel gegriffen hatte. Die toten Finger berührten ihn noch. Ein kleiner gelber Notizblock – ohne Notizen – war ebenfalls aus der Westentasche herausgefallen.
»Verdammt«, flüsterte Hansen und schloss schnell ein Gebet an, mit dem er um Vergebung für den Kraftausdruck bat. Den alten Mann zu töten, war nicht geplant gewesen, und die Tatsache, dass er sich bei dem Streifenpolizisten nach ihm erkundigt hatte, könnte Verdacht erregen.
Nein, eigentlich nicht , dachte Hansen. Wenn Frears tot ist, wird das hier nur ein weiterer Mord sein, der auf Kurtz’ Rechnung geht. Wir werden nie wissen, warum Kurtz die beiden getötet hat, aber die 38er, die man in seinem Hotelzimmer findet, wird den Zusammenhang herstellen. Hansen steckte den Revolver in seine Manteltasche. Er hatte noch nie eine Mordwaffe nach der Tat bei sich behalten – das war amateurhaft –, aber in diesem Fall ging es nicht anders, bis er Frears gefunden und erledigt hatte. Dann konnte er die Waffe in Kurtz’ Hotelsuite deponieren – oder bei seiner Leiche, falls Kurtz sich der Verhaftung widersetzte, wovon Hansen sehr stark ausging.
Als er in dem Raum kaum zehn Meter von Emilio Gonzaga entfernt saß und die Blicke von Mickey Kee, Marco und den beiden Gonzaga-Leibwächtern auf sich spürte, bereitete sich Kurtz langsam auf das Unvermeidliche vor.
Er würde einige lose Enden hinterlassen – die Geschichte mit Frears und Hansen zum Beispiel, aber das war nicht Kurtz’ Problem. Arlene würde sich um Frears kümmern, vielleicht versuchen, der Polizei die Verbindung zu Conway in die Hände zu spielen. Es war nicht Kurtz’ Problem. Dann gab es da noch Donald Rafferty und Rachel – die waren Kurtz’ Problem –, aber er hatte keine Ahnung, was er in der Sache unternehmen sollte. Kurtz’ wichtigstes Problem war derzeit eindeutig Emilio Gonzaga, Samanthas wahrer Mörder, und der saß lediglich durch einen kurzen Gang getrennt hinter einer unverschlossenen Tür.
Wenn er in Aktion trat, dann musste es schnell gehen. Und bald. Kurtz nahm an, dass Gonzaga und die Farino jetzt beim Hauptgericht angelangt waren. Die drei Leibwächter-Kellner im Speisesaal würden sich an der Wand postiert haben.
Mickey Kee war sehr wachsam, aber – wie alle Leibwächter – auch gelangweilt. Gewohnheit führte zu Nachlässigkeit. Die letzten 15 Minuten, in denen Marco nichts weiter tat, als im Programm eines Pferderennens zu blättern, und Kurtz mit halb geschlossenen Augen dasaß, hatten Mickey Kees Wachsamkeit sichtbar heruntergeschraubt. Die anderen beiden Leibwächter waren Hohlköpfe, deren Aufmerksamkeit ganz von dem kleinen Fernseher auf der Anrichte an der Wand in Anspruch genommen wurde. Es lief eine Seifenoper, die das Gespann fasziniert verfolgte. Wahrscheinlich sahen sie jeden Tag zu.
Mickey Kee schien wegen Kurtz’ Anwesenheit durchaus beunruhigt zu sein. Wie alle guten Leibwächter machte ihn alles, was von der Routine abwich, misstrauisch. Aber Kee war auch ein durstiger Mann und unternahm immer wieder Ausflüge zu der Mahagoni-Hausbar in Kurtz’ Nähe – dabei kam er in einem Meter Entfernung an ihm vorbei –, um sein Glas mit Sodawasser aufzufüllen. Obwohl er das Glas in der Linken hielt – Kurtz hatte längst bemerkt, dass Kee Rechtshänder war –, nahm es zu viel von seiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Es
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