JörgIsring-UnterMörd
herüber.
»Zum Wagen!«
Er nickte, lief leicht gebückt auf seinem Bürgersteig in Richtung des
Fahrzeuges, dessen Windschutzscheibe er durchschossen hatte. Oda ging parallel
zu ihm auf der gegenüberliegenden Seite.
Krauss näherte sich vorsichtig dem Wagen, sah aber gleich, dass ein Mann
hinter dem Steuer eingeklemmt war. Sein Kopf lag bewegungslos auf dem Lenkrad.
Eine der drei Kugeln musste ihn getroffen haben, vielleicht sogar mehrere.
Krauss trat an den Wagen. Er wollte sichergehen und schoss dem Fahrer aus
der Nähe in den Kopf. Benommen torkelte er weiter Richtung BMW Der Schmerz war
fast unerträglich, die Welt um ihn herum gedämpft, als hätte jemand einen
Taucherhelm auf seinen Schädel geschraubt. Er sah hinüber zu Oda, die ihm mit
der Hand bedeutete, schneller zu laufen. Krauss keuchte, er fürchtete, dass er
es nicht mehr schaffen würde und hier mitten auf der Straße zusammenbrach.
Dann war er am Wagen. Schwer atmend stützte er sich am Dach ab. Oda legte
einen Arm auf seine Schulter. Ihre Stimme klang besorgt. »Bist du verletzt,
Richard?«
Er antwortete nicht gleich, wollte den Schmerz
kontrollieren.
»Richard, hat er dich erwischt?«
»Nein. Es ist die alte Wunde. So schlimm war es lange
nicht.«
»Wir müssen hier weg. Ich höre Sirenen. Die Anwohner haben die Polizei
informiert.«
Krauss hörte nichts. Er kletterte in den BMW, glitt in die Polster. Oda
setzte sich hinters Steuer, drehte den Zündschlüssel und gab Gas. Sie sprachen
kein Wort. Oda fuhr so gelassen, als ob nichts passiert wäre. Krauss schloss
die Augen. Der Schmerz verebbte allmählich.
»So kann das nicht weitergehen«, sagte er. »Was meinst du?«
»Mit meinem Rücken.
Die Kugel muss raus. Ich wäre fast gestorben auf dieser Straße, wenn du nicht
gewesen wärst. Die Wunde macht mich zu einem Risiko. Offensichtlich mag sie
keine brenzligen Situationen.«
Oda lächelte. »Die Kugel möchte dich nur nicht mit einer anderen teilen.«
Krauss grinste gequält. Oda sah auf die Straße. Sie hielt sich ans
Tempolimit, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Das Wohnviertel
hatten sie bereits hinter sich gelassen. Bisher waren sie keinem Polizeiwagen
begegnet.
Krauss hustete. »Wahrscheinlich wimmelt es in der Straße jetzt von
Polizisten.«
»Die werden sich freuen, wenn sie merken, dass sie es
mit Göring zu tun bekommen.«
Krauss schaute sie fragend an. »Mit Göring? Kanntest du die Männer?«
»Sie gehörten zum F. A., meine Einheit. Kestner und Bredow. Harte Jungs,
manchmal etwas zu chauvinistisch für meinen Geschmack. Kestner hat mich
erkannt, als ich auf ihn gezielt habe. War wohl leicht verwirrt, der Gute. Ich
kann es ihm nicht verdenken.«
»Göring wird sauer sein.«
Oda kicherte leise. »Richtig sauer. Saurer, als du dir vorstellen kannst.
Schade, dass ich sein dummes Gesicht nicht sehe.«
Sie erreichten ihr Ziel am frühen Abend. Es war eine kleine gemütliche
Jagdhütte in der Nähe von Potsdam. Oda hatte sie gekauft, ohne irgendjemanden
einzuweihen. Die Hütte sollte ihr Rückzugsort sein. Nun war sie froh, dass
dieser Ort existierte. Zum Haus, das direkt am Waldrand stand, führte nur ein
schmaler Feldweg. Oda parkte den BMW hinter der Hütte, so dass man ihn nicht
auf Anhieb sehen konnte. Krauss stieg aus und wurde sofort von der würzigen
Waldluft überwältigt. Seine Schmerzen waren verschwunden.
»Einen schönen Platz hast du dir
hier ausgesucht.«
»Es ist wirklich ein besonderer Ort. Das wirst du bald
spüren. Ein Fleckchen, um sich auf das Wesentliche zu besinnen. Auf sich
selbst. Auf das, was zählt.«
»Gut, wenn man so einen Platz hat.«
Oda nickte. »Im Kofferraum sind Lebensmittel. Ich habe eingekauft, bevor
ich dich abgeholt habe.«
Krauss nahm die Taschen und folgte Oda in die Hütte. Innen roch es muffig,
nach Staub und feuchtem Holz. Oda wischte ein paar Spinnweben beiseite. Im
Großen und Ganzen wirkte der Hauptraum wohnlich, Krauss sah vor dem großen
Fenster, das hinaus auf die Lichtung führte, eine Couchecke mit Beistelltisch.
Direkt daneben befand sich ein Kamin. Auf der anderen Seite war eine Kochzeile,
davor ein kleiner Esstisch mit drei Stühlen.
Oda breitete die Arme aus. »Willkommen in meinem Schloss. Dies ist der
Tanzsaal. Die hintere Tür führt in die Schlafgemächer, hier vorne liegt mein
türkisches Dampfbad. Wenn du den Ofen in Gang bekommst, kannst du sogar ein
heißes Bad nehmen.«
Krauss stellte die Lebensmittel auf einen Küchenschrank
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