JörgIsring-UnterMörd
nicht
mehr. Wenn Sie mich fragen, dann sind die Deutschen von den Polen in diesen
Krieg hineingezwungen worden. Hitler blieb am Ende gar nichts anderes übrig, um
das deutsche Volk zu schützen. Selbst friedliebende Menschen geraten einmal an
ihre Grenzen.«
Dahlerus hätte beinahe die Kontrolle über sich verloren und verächtlich losgeprustet,
beherrschte sich aber. Niemandem war gedient, wenn er seinen guten Draht zu
Göring verlor. Stattdessen dachte er darüber nach, wie sich die Katastrophe
begrenzen ließ. »Gibt es überhaupt noch eine Chance, das Schlimmste abzuwenden?«
Der Feldmarschall
sah ihn fest an. »Ehrlich gesagt, bin ich mit meinem Latein am Ende.«
»Vielleicht hilft es, wenn Sie persönlich noch einmal mit den Engländern
reden. Sie und Henderson verstehen sich gut. Das ist doch eine Basis, auf der
man aufbauen kann.«
»Vielleicht.«
»Ich kann Sie nur inständig bitten, es zu versuchen.«
»Ohne Hitlers Einverständnis geht es nicht.« »Dann holen Sie es sich.«
Göring blickte aus dem Fenster seines Salonwagens. Abgesehen von den
Uniformierten, die überall herumstanden, sah die Welt dort draußen friedlich
aus. Die Sonne war gerade aufgegangen, es schien ein schöner Tag zu werden.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Nach dem Besuch bei Göring war Dahlerus in die britische Botschaft
gefahren, um dort Henderson ebenfalls zu beschwören, einen letzten Versuch zu
unternehmen, den Wahnsinn aufzuhalten. Doch die Laune des Diplomaten befand
sich auf dem Nullpunkt, er wirkte mürrisch und wortkarg. Er empfing Dahlerus
in seinem Arbeitszimmer und deutete auf das offene Fenster. »Hitler hält
gleich eine Rede vor dem Reichstag. Er wird hier vorbeifahren. Dann können Sie
einen Blick auf den Mann werfen, der Europa in Trümmer legt.«
Der Schwede hakte sofort ein. »Auch wenn es auf den ersten Blick unmöglich
scheint, gibt es vielleicht doch noch eine Chance, wenn deutsche und englische
Delegierte sich an einen Tisch setzen. Das muss ja nicht hier in Berlin sein,
sondern vielleicht in Holland oder meinetwegen auch Schweden. Nur so können
wir den Wahnsinn stoppen. Was halten Sie davon?«
In Hendersons Stimme schwang tiefste Verachtung mit. »Von mir können Sie
nichts erwarten. Ich habe genug von den perfiden Spielchen, die Hitler mit uns
treibt, und werde den Teufel tun, jetzt auch noch zu Kreuze zu kriechen. Wir
haben unsere Angebote unterbreitet, er hat es in der Hand gehabt und sich
dafür entschieden, die Welt ins Verderben zu stürzen. Jetzt müssen die
Deutschen die Konsequenzen tragen. In meinen Augen sind Hitler und Ribbentrop
nicht ganz bei Trost. Warum sollte ich mit Geisteskranken verhandeln? Sagen Sie
mir das, Dahlerus.«
»Was ist mit Göring?«
Henderson winkte ab. »Was sollen wir mit Göring? Der tut auch nur, was sein
Führer ihm befiehlt.«
Dahlerus hatte schnell begriffen, dass er Henderson
heute kaum umstimmen würde, blieb aber hartnäckig. Der britische Botschafter
beharrte jedoch auf seiner unnachgiebigen Position. Als sich der Schwede
unverrichteter Dinge nach einer Stunde wieder verabschieden wollte, kam Forbes
ins Zimmer. »Göring ist am Telefon, Mr. Dahlerus.«
Der Feldmarschall
teilte dem Schweden mit, dass Hitler ihn in der Reichskanzlei zu sehen wünsche.
Sofort. Er wolle Rücksprache mit ihm halten. Angesichts der dramatischen
Ereignisse schien es Dahlerus ratsam, der Einladung zu folgen. Vielleicht
suchte Hitler ja nach einem Weg, mit den Briten in Kontakt zu kommen, weil er
die Tragweite seiner Handlungen erkannte und fürchtete. So unwahrscheinlich das
auch sein mochte.
Zwei Offiziere holten den Schweden in der britischen Botschaft ab und
geleiteten ihn durch mehrere Absperrungen in die Reichskanzlei. Dort wurde er
von Göring empfangen. Das Gesicht des Feldmarschalls leuchtete.
Irgendetwas war passiert, dachte Dahlerus.
Göring platzte
mit den Neuigkeiten sofort heraus. »Der Führer hat mich heute in seiner Rede
vor dem Reichstag offiziell zu seinem Nachfolger ernannt. Nun weiß es die ganze
Welt. Sie wissen, dass ich darauf hingearbeitet habe, und es bürdet mir große
Pflichten auf. Aber es hilft mir auch, unsere Sache voranzutreiben, mein
lieber Dahlerus. Selbst wenn es Ihnen derzeit aussichtslos erscheinen mag, so
habe ich die Hoffnung auf eine friedliche Lösung noch nicht aufgegeben. Und
ich zähle dabei auf Sie.«
Der Schwede
betrachtete den Feldmarschall, dessen Wangen euphorisch glühten. Die Laune des
Deutschen schien ihm
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