JörgIsring-UnterMörd
ihn zurück nach Deutschland bringen, zurück
zu Hitler. Egal, was jemals aus dem Jungen wird, so hätte diese Rückkehr doch
Symbolkraft. Hitlers Sohn, sein geistiger Erbe, befreit aus den Händen seiner
Feinde. Das wäre schicksalsträchtig. Ein Junge, wie bestimmt zum nächsten
großen Führer des Deutschen Reiches. Hitler hätte einen designierten
Nachfolger und sähe sich als Begründer einer Dynastie. Das können wir nicht
zulassen. Wir würden den Jungen an einen sicheren Platz bringen, dorthin, wo
ihn alle Benslers dieser Welt nicht finden.«
Krauss rutschte
auf der Rückbank des BMW herum, auf der Suche nach einer bequemeren Position.
»Und Sie könnten ihn jederzeit als Druckmittel gegen Hitler benutzen. Das
haben Sie sich prima ausgedacht, aber das kommt nicht in Frage. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Bensler irgendeine Spur findet außer der seines eigenen
Gestanks. Der Junge ist sicher.«
»Wenn Sie meinen. Aber ich an Ihrer Stelle würde Bensler nicht
unterschätzen. Alleine wäre er vielleicht keine große Gefahr, aber er hat
mehrere Leute, die ihn unterstützen. Außerdem besitzt er Zugang zu
Regierungskreisen. Nicht jeder in England ist den Nazis feindlich gesinnt. Sie
sollten also in sich gehen und genau überlegen, wer alles den Aufenthaltsort
des Jungen kennt. Sie können ihn nicht mehr schützen, zumindest nicht von hier
aus. Wir können es. Wir haben eine schlagkräftige Gruppe in London. Ein
Funkspruch genügt, und wir bringen den Jungen in Sicherheit.«
Krauss schwieg. Odas Äußerungen brachten ihn ins Grübeln. Zwar hatte er nie
zu irgendjemandem ein Wort über den Jungen gesagt und den Kontakt zu ihm auf
ein Minimum beschränkt. Aber es gab keine hundertprozentige Sicherheit.
Vielleicht hatte Doyle ihn beschatten lassen. Vielleicht hatte Christa einmal
eine Bemerkung gemacht oder einem Liebhaber ihr einsames Herz ausgeschüttet. Es
war zwar extrem unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Nur, was hieß das jetzt
und hier für ihn? Es fiel ihm schwer, daraus eine Option für sein Handeln
abzuleiten. Sein Kopf fühlte sich immer noch wattig an. In diesem Zustand
durfte er keine Entscheidungen treffen, das wäre verantwortungslos gewesen. Es
stand zu viel auf dem Spiel.
In den vergangenen zehn Minuten war die Straße schlechter geworden. Krauss
hob den Kopf und sah aus dem Fenster. Sie hatten Berlin verlassen, fuhren über
Land. Hinter den Bäumen ging die Sonne auf. Seine Stimmung blieb düster. »Ich
traue Ihnen nicht.«
»Glauben Sie, ich lege mich aus Spaß mit der Gestapo an? Wenn Sie bitte mal
eine Sekunde nachdenken: Die kennen mein Gesicht. Ich kann mich in Deutschland
nicht mehr blicken lassen. Für die Nazis bin ich seit heute ein Staatsfeind.
Wenn sie mich erwischen, stellen sie mich sofort an die Wand. Nein, vorher
foltern sie mich noch, um Namen aus mir herauszupressen. Was ihnen vielleicht
auch gelingen wird, denn ich bin nicht so hart, wie es den Anschein hat. Mein
Leben ist also so gut wie verwirkt, ich könnte mir gleich hier eine Kugel in
den Kopf schießen. Und Sie sagen, Sie trauen mir nicht. Herzlichen Dank.«
Krauss stöhnte leise. »So habe ich es nicht gemeint. Ich bin Ihnen
natürlich dankbar, dass Sie mich da rausgeholt haben, aber Sie müssen auch mich
verstehen. Das geht alles ein wenig schnell. Ich brauche Zeit.«
»Zeit ist das, was wir am wenigsten haben.«
Krauss schwieg. Er hörte, wie Oda ein Feuerzeug aufklappte. Sie zündete
sich eine Zigarette an. Tabakschwaden zogen durch den Innenraum.
»Wollen Sie auch eine?«
»Gerne.«
»Ich glaube, Sie können hochkommen. Hier draußen sind eh nur Bauern
unterwegs.«
Krauss richtete sich auf und nahm die Zigarette entgegen, die Oda ihm
reichte. Sie brannte schon. Oda zündete sich eine neue an. Krauss nahm einen
tiefen Zug.
»Wo bringen Sie mich hin?«
»Das sehen Sie doch. Raus aus der Stadt, in Sicherheit. Dahin, wohin wir
auch den Jungen bringen würden.« »Sie kennen Philipp nicht.« »Philipp? Heißt er
jetzt so?«
»Er ist ein kluger Bursche, der wahnsinnig gerne Fußball spielt. Britisch
durch und durch. Mit phantastischen Eltern. Besser als dort, wo er jetzt ist,
wird es ihm nirgendwo gehen. Ihn da rauszureißen wäre ein Verbrechen.«
»Denken Sie daran, was passiert, wenn Bensler ihn findet. Glauben Sie, er
würde die Familie verschonen? Das wird eine traumatische Erfahrung für den
Jungen. Ich dagegen verspreche Ihnen, dass wir auch die Familie schützen
werden. Und natürlich bringen
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