John Corey 01 - Goldkueste
sehr langer Zeitraum, aber ich hatte mir eingebildet, die beiden gut zu kennen. Jetzt stellte sich jedoch heraus, dass ich längst nicht alles über sie wusste.
»Hallo?« sagte Emma. »John?«
»Entschuldigung. Ich habe bloß daran gedacht, wie ich die Gordons kennengelernt habe. Es war genau hier.«
»Wirklich?« Sie fragte mich: »Bist du persönlich sehr betroffen, dass sie...«
Ich merkte erst jetzt, wie viel Spaß mir ihre Gesellschaft gemacht hatte. »Du hast recht, ich nehme den Fall doch persönlicher, als ich anfangs geglaubt habe.«
Sie nickte nur. Ich sagte mir, dass sie als Komplizin des Täters oder sonst wie Beteiligte wohl versucht hätte, mich ein bisschen auszuhorchen. Aber sie schien dieses Thema eher meiden zu wollen, was mir auch recht war.
Dann war unser Tisch fertig, und wir gingen auf die verglaste Terrasse mit Hafenblick hinüber. Es war merklich kühler geworden, und ich bedauerte, dass der Sommer sich unaufhaltsam seinem Ende näherte. Seit ich mir meiner Sterblichkeit bewusst war, erinnerten mich die kürzeren Tage und der kalte Wind an die Tatsache, dass der Sommer meines Lebens ebenfalls vorüber war - dass der kleine Johnny, der über eine gefundene Musketenkugel laut gejubelt hatte, endlich erwachsen geworden war, als er mit drei Musketenkugeln im Leib in der West 102nd Street im Rinnstein gelegen hatte.
Amerika ist ein Land zweiter und dritter Chancen, ein Ort vielfacher Wiederbelebungen, so dass man bei genügend Wiederholungen ein vollkommener Trottel sein muss, um es nicht irgendwann zu schaffen.
»Mir scheint, du bist weit weg«, sagte Emma.
»Ich versuche mich zu entscheiden, ob ich mit fritierten Calamari oder den Scungili anfangen soll.«
»Fritiert ist nicht gut für dich.«
»Sehnst du dich manchmal in die Großstadt zurück?« fragte ich.
»Selten. Aber mir fehlt die Anonymität. Hier draußen weiß jeder, mit wem man schläft.«
»Kein Wunder, wenn du alle deine Freunde deinen Mitarbeitern vorführst.«
»Sehnst du dich manchmal in die Großstadt zurück?« fragte sie.
»Weiß ich noch nicht... Das stellt sich erst raus, wenn ich wieder dort bin.« Unter dem Vorwand, das Örtchen aufzusuchen, ging ich zu meinem Jeep hinaus und holte den Nachttopf, den ich in der Geschenktüte mitbrachte.
Als ich die T üte vor sie hinstellte, fragte sie: »Für mich?«
»Ja.«
»Oh, John, das wäre nicht nötig gewesen... Soll ich's gleich auspacken?«
»Bitte.«
Emma griff in die T üte und zog den Nachttopf heraus, der in rosa Seidenpapier gewickelt war. »Was ist... ?«
Plötzlich befiel mich Panik. Was war, wenn die alte Dame im Antiquitätengeschäft sich geirrt hatte? Wenn sie Emma Whitestone mit einer anderen Kundin verwechselt hatte? »Augenblick«, sagte ich, »vielleicht packst du's doch lieber erst später aus...«
Andere G äste beobachteten uns jetzt interessiert, neugierig, lächelnd.
Emma streifte das rosa Seidenpapier ab, so dass der weiße Nachttopf mit den rosa Rosen sichtbar wurde. Sie hielt ihn an seinem großen Henkel hoch.
Die Menge holte erschrocken tief Luft. So klang es jedenfalls. Irgendjemand lachte.
»Oh, John!« sagte Emma. »Der ist wunderschön. Wie hast du das gewusst?«
»Ich bin schließlich Detektiv.«
Sie bewunderte den Nachttopf von allen Seiten, drehte ihn um, begutachtete den Stempel der Porzellanfabrik und so weiter.
Unser Ober kam vorbei und sagte: »Sie können gern auch unsere Toilette aufsuchen.«
Wir lachten alle drei, und Emma sagte, sie werde Zwergrosen hinein pflanzen, und ich sagte, das verhindere garantiert, dass jemand sich daraufsetze, und so weiter. Irgendwann war der Nachttopfhumor erschöpft, und wir bestellten unser Essen.
Wir aßen sehr gut, unterhielten uns angeregt und genossen den Blick auf den Hafen. Emma wollte wissen, ob sie bei mir übernachten solle, was ich bejahte. Daraufhin öffnete sie ihre Handtasche, zog Slip und Zahnbürste heraus und erklärte mir: »Ich hab' alles dabei.«
In diesem Augenblick kam der Komiker-Ober zufällig wieder vorbei und fragte: »Möchten Sie noch etwas Kaffee, oder haben Sie's eilig heimzukommen?«
Auf der R ückfahrt zu Onkel Harrys altem Haus in Mattituck beschlich mich wieder diese schlimme Ahnung, dass nichts von alledem gut enden werde - dieser Fall nicht, diese Sache mit Emma nicht, die Sache mit Beth nicht, die nie richtig angefangen hatte, und auch meine berufliche Laufbahn nicht. Ich spürte plötzlich die unheimliche Stille und den fast wolkenlosen
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