John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
sagen darf. Man sieht bei Anlässen wie diesen sonst ständig nur dieselben Gesichter; da ist jedes neue eine angenehme Bescherung.«
Ronsard war ein Mann. An einer reizenden jungen Dame war er zu jeder Zeit interessiert, vorausgesetzt, sie war nicht zu jung. Er hatte nichts übrig für kichernde Teenager. »Zeig sie mir«, bemerkte er beiläufig.
Eduard blickte sich suchend um. »Ach ja, dort«, sagte er schließlich. »Am Fenster. Eine Brünette in Weiß. Sie hat wunderhübsche Augen.«
Ronsard lokalisierte die fragliche junge Dame. Kein Teenager, wie er bemerkte. Sie stand neben Madame Theriot, ein warmes und gleichzeitig höfliches Lächeln auf dem Gesicht, während sie mit geneigtem Haupt einem höheren Beamten des Finanzministeriums lauschte, der höchstwahrscheinlich über sein Lieblingsthema schwadronierte, Pferderennen.
Ronsard stieß anerkennend den Atem aus. Eduard hatte nicht übertrieben; sie war tatsächlich reizend. Nicht schön, nicht spektakulär, aber … reizend. Sie war nicht auf eine Weise angezogen, die dazu diente, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch irgendwie gelang ihr das dennoch. Vielleicht lag es an ihrer stillen, würdevollen Art und diesen umwerfenden Augen. Selbst von dort aus, wo er stand, konnte Ronsard Eduards Bemerkung über ihre Augen nur beipflichten. Es waren riesige, nachtschwarze Augen, die Art von Augen, in die ein Mann schauen und dann vergessen konnte, was er sagen wollte.
Sie trug ein schlichtes weißes Abendkleid, dessen Wirkung allein auf seinem exquisiten Schnitt beruhte. Sie besaß einen hellen Teint, so hell, dass man hätte vermuten können, sie würde in Weiß nur blass aussehen, doch das war nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Das Weiß des Kleids schien den Hauch von Rosa in ihren Wangen nur hervorzuheben. Man hatte gleichsam das Gefühl, das Blut unter ihrer zarten Haut pulsieren zu sehen.
Sie war schlank, aber nicht so dünn, wie so viele junge Frauen heutzutage, die das für modisch hielten. Unter dem fließenden Kleid wölbten sich wohlgerundete Hüften, und ihr Busen, wenn auch nicht allzu groß, war verlockend gerundet. Sie trug eine lange, elegante Perlenkette, ein dazu passendes Armband und Perlenohrringe. Sie wandte sich soeben leicht herum, und die lange Perlenkette schwang zur Seite und umrahmte nun ihre linke Brust.
Unbewusst hob sie die Hand und rückte die Kette wieder zurecht, sodass sie erneut anmutig zwischen ihren Brüsten ruhte, doch dieser Augenblick genügte, um in Ronsards Lenden ein köstliches Ziehen hervorzurufen.
»Ist sie verheiratet?« Ein Franzose nahm das nicht so ernst, aber die Amerikaner waren scheußlich prüde in diesen Dingen.
»Verwitwet«, antwortete Eduard.
Das Orchester begann in diesem Moment ein bewegendes Stück von Beethoven zu spielen, da der Tanz noch nicht begonnen hatte. Ronsard sah, wie die schöne junge Witwe den Kopf dem Orchester zuwandte und regungslos der Musik lauschte. Ihre Augen nahmen dabei einen unendlich traurigen Ausdruck an. Sie wandte sich an den Ministeriumsbeamten, sagte ein paar Worte, neigte sich dann Madame Theriot zu, der sie etwas zuzuflüstern schien. Über Madame Theriots Gesicht huschte ein mitfühlender Ausdruck, und sie berührte die junge Frau kurz am Arm. Dann schlüpfte diese durch die offenen Terrassentüren und verschwand.
Ronsard hatte keine Ahnung, wie lange sie schon verwitwet war, doch offenbar hatte die Musik eine traurige Erinnerung geweckt. Traurige junge Frauen sollten seiner Meinung nach sofort getröstet werden. »Entschuldige mich«, murmelte er Eduard zu und nahm entschlossen die Verfolgung auf.
Es war ein mühsamer Weg durch den Ballsaal, wurde er doch beständig aufgehalten. Mehrere Frauen riefen ihn beim Namen und schenkten ihm ein laszives Lächeln. Er musste Hände schütteln, Wangen küssen und sich möglichst geschickt empfehlen, wobei er die Terrassentüren nicht aus den Augen ließ. Der hohe Finanzbeamte schien zunächst zu zögern, fand jedoch schließlich den Mut, sich den Terrassentüren zu nähern. Aber schon war Ronsard da und trat ihm entschlossen in den Weg. »Ihre Sorge ist sehr löblich«, murmelte er, »aber vollkommen unnötig.«
»Äh …« Der Mann blinzelte kurz, als er Ronsard erkannte. »Äh, aber sicher.«
Ronsard trat hinaus in die laue Pariser Nacht. Die mit Natursteinen gepflasterte Terrasse wurde nur durch das aus dem Ballsaal herausströmende Licht und die in den kunstvoll zurechtgeschnittenen Bäumen angebrachten
Weitere Kostenlose Bücher