John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
wandte sich mit einem eingeübten Lächeln der Frau des Premierministers zu, die sich ihnen soeben näherte, und Niemas Aufmerksamkeit wurde von einem jungen Botschaftsangestellten aus New Hampshire mit Beschlag belegt, der offenbar unter großem Heimweh litt. Da Niema nie dort gewesen war, hoffte sie inständig, dass er sie nicht mit zu vielen Fragen löcherte.
Die einzige größere Party, die sie je besucht hatte, war ihre Highschool-Abschlussparty gewesen. So etwas wie das hier war vollkommen ungewohnt für sie, doch zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass sie sich gar nicht unwohl fühlte. Die Garderobe der Gäste war zwar besser, das Essen ausgefallener, die Leute ernster und ein wenig blasierter, aber im Großen und Ganzen spielte sich das Gleiche ab: höflicher Small Talk, höfliches Lächeln, wen kenne ich noch nicht? Die Politiker arbeiteten sich von einer Gruppe zur anderen vor, während die Lobbyisten die Politiker bearbeiteten. Jeder wollte etwas von jedem.
Ihr Französisch erwachte schlagartig, als sie es gesprochen hörte. Glücklicherweise war Französisch ihre beste Fremdsprache gewesen. Ronsard jedoch sprach sie auf Englisch an, weshalb sie in derselben Sprache antwortete. Sie bezweifelte, dass er ein Mann war, dem je eine unvorsichtige Bemerkung herausrutschte. Doch wenn er glaubte, sie verstünde seine Sprache nicht, könnte er eventuell ein wenig leichtsinnig sein. Sie hatte nicht die Absicht, ihm zu verheimlichen, dass sie Französisch sprach, da so etwas viel zu leicht herauskam und sofort seinen Argwohn wecken würde.
Sie durfte nicht den Anschein erwecken, an ihm interessiert zu sein. Ganz im Gegenteil. Die Initiative musste ausschließlich von ihm ausgehen, dann käme er auch nie auf den Gedanken, sie wolle bloß eine Einladung in seine Villa. Gleichzeitig jedoch musste sie ihm weismachen, dass sie ihn mochte, denn sonst hätte sie ja keinen Grund, seine Einladung anzunehmen.
Glücklicherweise waren die Frauen ganz verrückt nach ihm. Schon allein deshalb – weil sie da nicht mitmachte – wäre sie in seinen Augen etwas Besonderes. Männer mochten eine Herausforderung, und die würde sie ihm schon bieten.
Man begann mit dem Tanz, und sie ließ sich von dem Erstbesten, der sie ansprach, übers Parkett schieben. Es handelte sich dabei zufällig um den langweiligen Gentleman, mit dem sie sich zuvor schon einmal unterhalten hatte. Er pumpte ihren Arm, als erwartete er, dass aus ihrem Mund ein Springbrunnen hervorquoll. Dabei sprach er erneut über sein Lieblingsthema: Rennpferde. Sie lächelte und machte gelegentlich eine Bemerkung, und er schien es zufrieden zu sein.
Als Nächstes bat sie der Botschafter um einen Tanz. Er war ein stattlicher Herr mit silbernen Haaren und einem lieben Lächeln, ein bisschen kleiner als seine Frau, besaß aber ein sehr gutes Taktgefühl, und sie fühlte sich sogleich wohl bei ihm. Er unterhielt sich mit ihr, als wäre sie tatsächlich eine alte Freundin der Familie, plauderte über angebliche gemeinsame Freunde, einen Ferienaufenthalt, den die beiden Familien einmal gemeinsam verbracht hatten, als sie noch ein Kind war. Sie fragte sich, ob die Kunst des Lügens zu den Qualifikationen eines Botschafters gehörten, denn er war ein wahrhaft glänzender Geschichtenerfinder.
Als der Tanz mit dem Botschafter endete, entschuldigte sie sich und verschwand in der Damentoilette, wo sie so viel Zeit totschlug, wie sie glaubte, sich leisten zu können. Danach kehrte sie nicht gleich wieder in den Ballsaal zurück, sondern mischte sich unter die Leute in den anderen Räumen und unterhielt sich mit jenen, denen sie bereits vorgestellt worden war. Wenn Ronsard wirklich mit ihr tanzen wollte, dann musste er sie schon selbst finden.
Was er auch tat. Eine warme Hand umschloss ihren Ellbogen, und er sagte: »Sie haben mir einen Tanz versprochen.«
Niema zögerte. Eine kurze Stille senkte sich über das Grüppchen, bei dem sie stand. Alle wussten natürlich, wer er war, und wollten sehen, ob sie ihm die kalte Schulter zeigte. Sie sah, wie sich seine Augen allmählich verengten, und erwiderte: »Sind Sie sicher, dass Sie Ihre Zehen riskieren wollen?«
Erleichtertes Gekicher. Seine Züge entspannten sich, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Meine Zehen wären geehrt.« Er wies mit dem Arm den Weg zum Ballsaal.
Seine Hand auf ihrem Rücken ignorierend, ging sie ruhig neben ihm her. Das Orchester begann soeben mit einer langsameren Nummer als die bisherigen, und
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