John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
warf sich ihrem Bruder um den Hals und gab ihm einen Schmatz auf die Wange. »Ich wusste gar nicht, dass du heute Abend auch hier sein würdest. Wie wundervoll! Wie geht es Laure?«
»Es geht ihr gut.« Louis’ Stimme war ausdruckslos und gedämpft. Er sprach nie in der Öffentlichkeit über Laure. Viele von seinen Freunden und Bekannten hatten nicht einmal eine Ahnung, dass es sie überhaupt gab.
Mariette zog zerknirscht das Näschen kraus. »Bitte verzeih«, sagte sie. »Ich vergaß.«
»Selbstverständlich«, entgegnete er sanft und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann streckte er ihrem Mann die Hand hin. »Wie geht’s, Eduard?«
»Gut, danke.« Eduard hatte einen leichten Bauchansatz, und sein Haupthaar befand sich bereits auf dem Rückzug. Seine Züge ließen sich bestenfalls als »nicht unschön« beschreiben. Seine Miene war nichts sagend, wie gewöhnlich, womit er aber lediglich einen messerscharfen Verstand verbarg. »Und du?«
»Mir geht’s gut.« Nachdem diese Nettigkeiten ausgetauscht waren, schlang Ronsard den Arm um die Taille seiner Schwester. »Du siehst umwerfend aus. Dieses Kleid steht dir wirklich gut.«
Sie strahlte und strich mit der Hand über den schimmernden rosa Stoff, der die Farbe in ihren Wangen gut zur Geltung brachte. »Du glaubst also nicht, es ist ein bisschen zu jugendlich für mich?«
»Liebes, du bist jung.«
»Sage ich ihr ja auch andauernd«, warf Eduard ein. »Sie wird mit jedem Tag hübscher.« So zuckrig das Kompliment auch klang, er meinte jedes Wort davon. Die Hingabe, mit der er Mariette liebte, war mit das, was Ronsard an seinem Schwager am meisten schätzte.
»Ach, da ist ja Juliette«, rief Mariette, den hübschen Kopf sofort ganz woanders. »Ich muss unbedingt mit ihr reden.« Und schon flatterte sie mit fliegenden Röcken davon.
Ronsard und Eduard entfernten sich, gemütlich plaudernd, ein wenig vom größten Pulk, als hätten sie nichts Wichtigeres zu tun, als sich zu unterhalten und nach Bekannten Ausschau zu halten. »Ich glaube, heute ist alles da, was in dieser Regierung Rang und Namen hat«, bemerkte Ronsard. »Muss was Interessantes in der Luft liegen.«
Eduard zuckte die Schultern, die vollen Lippen zu einem milden Lächeln verzogen. »Na ja, die Wahlen stehen an, mein Freund. Jeder hofiert jeden. Und die Wirtschaft ist doch immer ein interessantes Thema, nicht wahr? Die Irakis möchten bei uns ein hoch entwickeltes und sehr teures Computersystem kaufen, aber die Amerikaner machen wie üblich ein schreckliches Theater deswegen. Die haben gut reden, die haben ja keine Rezession und können sich nicht vorstellen, wie es in anderen Ländern zugeht. Unsere führenden Industriellen mögen es gar nicht, wenn sich die Amerikaner in ihre Geschäfte einmischen. Aber wenn wir ihnen sagen, sie sollen sich raushalten …« Er hob viel sagend die Hände. »Die Amerikaner haben doch so viele schöne Dollars. Was soll man da machen?«
»Was immer nötig ist, offiziell jedenfalls«, bemerkte Ronsard trocken. Kein Franzose liebte die übermächtige Präsenz der Amerikaner auf dem Globus. Welche Verträge die Amerikaner auch erzwangen, sie konnten nicht überall sein und alles überwachen. Frankreich unterschrieb und machte dann, was im besten Interesse Frankreichs stand. Pragmatismus war der Eckstein des französischen Charakters.
»Die Russen brauchen händeringend finanzielle Mittel. Vielleicht werden die Amerikaner ja für sie bezahlen. Wir leben in interessanten Zeiten, nicht wahr?«
»In sehr interessanten.« In den letzten zehn Jahren waren die alten Grenzen verschwunden. Die Weltpolitik war wieder vollkommen offen, und in einem solchen Klima florierte sein Geschäft. Instabilität gehört zu den stärksten Anreizen für eine gewisse Sorte Mensch.
»Der amerikanische Botschafter ist natürlich auch da«, fuhr Eduard fort. »Sein Assistent läuft mit gespitzten Ohren herum.«
Der Assistent des Botschafters gehörte dem amerikanischen Geheimdienst an. Jeder wusste, was der andere war, und dennoch machte bei solchen Anlässen eine erstaunliche Menge Informationen die Runde. Geheimdienstler wurden oft benutzt, um Informationen von einer Regierung an die andere weiterzuleiten, nur eben durch die Hintertür. Niemand wollte schließlich eine Krise herbeiführen.
»Der Botschafter und seine Frau haben zurzeit eine Freundin der Familie zu Besuch. Es ist die Tochter einer der ältesten Freundinnen von Madame Theriot. Eine reizende junge Dame, wenn ich das so
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