John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
der I-20 nach Westen.«
»In Richtung Zentrum?«
»Ja«, antwortete Thomas ohne weitere Erklärung. In diesem Augenblick wusste Wells, dass das Warten noch nicht zu Ende war.
Im Südwesten von Atlanta bog Wells schließlich in den Parkplatz eines heruntergekommenen Denny’s-Restaurants ein. Seit Stunden war er in endlosen Schleifen über die Highways gezogen, die die Stadt durchschnitten. Nun waren sie praktisch wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt, denn nur wenige Kilometer entfernt lag Hartfield, und über
ihren Köpfen dröhnten die Flugzeuge im Landeanflug auf den Flughafen.
Sobald Wells geparkt hatte, führte ihn Thomas bis an das Ende des Parkplatzes, wo ein Mann neben einem grünen Chevy Lumina wartete. Er war kleiner als Thomas und freizeitmäßig mit einer Jeans und einem Falcons-T-Shirt bekleidet.
»Das ist Sami«, sagte Thomas. Dann umarmte er Sami und murmelte ihm etwas ins Ohr.
»Sami«, grüßte auch Wells, wobei er ihm die Hand entgegenstreckte. Sami ließ die Hand in der Luft hängen, bis Wells sie schließlich zurückzog.
»Geben Sie ihm Ihre Schlüssel«, forderte ihn Thomas auf, ohne zu lächeln.
Wortlos warf Wells Sami seinen Schlüsselbund zu, der ihn fing und zu Wells’ Pick-up ging. Währenddessen stieg Thomas in den Lumina und deutete Wells mit der Hand, ihm zu folgen. Gelassen beobachtete Wells, wie Sami in seinem Ford den Parkplatz verließ. Diese beiden Männer machten sich all die Mühe aus einem bestimmten Grund. Khadri unterzog ihn einem Abschlusstest, ehe er die Zugbrücke senkte, um ihn in die Burg einzulassen. Zumindest hoffte er das.
Wieder fuhren sie ziellos durch die Stadt. Als es auf der kleinen Digitaluhr des Chevys fünf Uhr wurde, verstärkte sich der Verkehr. Thomas zeigte jedoch nicht die geringste Ungeduld. Vermutlich wollte er Sami Zeit geben, sein Apartment zu durchsuchen, dachte Wells. In Ordnung. Sie sollten ihr Spiel spielen. Wie tief sie auch gruben, sie würden seine Tarnung nicht aufbrechen.
Als schließlich Thomas’ Mobiltelefon läutete, nahm er ab: »Nam.« Ohne ein weiteres Wort legte Thomas auf und ließ das Telefon wieder in die Tasche gleiten.
»Es ist sauber«, sagte Wells.
»Was?«
»Mein Apartment. Bis auf die Waffen, und die sind für uns.«
In diesem Augenblick lächelte Thomas zum ersten Mal. »Dasselbe hat auch Sami gesagt.«
Nachdem sie am Turner Field und der goldenen Kuppel des Georgia State Capitol vorbeigefahren waren, bog Thomas nach rechts in die 14th Street ein und fuhr in das Zentrum von Midtown, einem Stadtviertel, in dem sich hohe Bürotürme mit niedrigen Apartmenthäusern abwechselten. Schließlich lenkte er den Wagen in eine Garage und fuhr die Rampe empor. Als die Parkgarage von Etage zu Etage leerer wurde, nickte er zufrieden. Schließlich parkte er auf der obersten Etage inmitten eines Meers von leerem Asphalt.
»Aussteigen.«
»Thomas, sind wir Freunde?«, fragte Wells. Er sprach jetzt Arabisch und genoss den weichen Klang der Worte. Abgesehen von seinen Gebeten hatte er diese Sprache seit Pakistan nicht mehr verwendet.
»Ich glaube schon«, antwortete Thomas ebenfalls in Arabisch. »Wir sind dabei, uns zu vergewissern.«
»Wirst du mir dann deinen richtigen Namen sagen?«
»Qais.«
»Qais. Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht, dass unter dem Sitz eine Pistole liegt? Glaubst du wirklich, dass ich sie nicht nehmen könnte, wenn ich wollte?« Wells lächelte Qais grimmig an. Sein Blick sagte: Auch ich bin ein Profi. Also zeige ein wenig Respekt.
Qais zeigte sich nicht überrascht. »Du könntest es ja versuchen. «
Die Art dieses Mannes gefiel ihm. Ohne ein weiteres Wort stieg Wells aus. Wie vorhergesehen, verriegelte Qais die Türen, griff unter den Fahrersitz und zog eine kleine Pistole Kaliber .22 hervor, die er unter sein Hemd steckte, ehe er den Wagen verließ.
»Leg die Hände auf die Motorhaube und spreiz die Beine«, sagte er, nun wieder auf Englisch, zu Wells. Dann durchsuchte er ihn gründlich. »In Ordnung.«
»Warst du in deinem früheren Leben ein Cop?«
»Etwas Ähnliches. Los jetzt. Jemand wartet auf dich. Du wirst dich freuen, ihn zu sehen.«
Als sie die Garage verließen, war die Sonne bereits hinter den Bürotürmen im Westen untergegangen. Qais bewegte sich unbeschwert, seit er wusste, dass sie nicht verfolgt wurden. In wenigen Minuten erreichten sie den Piedmont Park, ein vierzig Hektar großes Gelände von Grasflächen und Bäumen, rund um einen künstlichen See.
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