John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
Sekunde, dass er zwanzig Jahre jünger wäre und sie nicht hier, in seiner Kabine, sondern an einer Bar treffen würde.
»Seien Sie ehrlich. Sie wären doch viel lieber drüben auf der Reagan bei den Fliegern.«
»Nein, die Mannschaft behandelt mich ausgezeichnet.«
»Das war nicht die Frage, die ich gestellt habe. Aber in Ordnung. Hat Ihnen Lieutenant Frederick erzählt, nach welchem Mann die Decatur benannt ist?« Er deutete mit dem Daumen auf das Gemälde hinter seinem Tisch, das einen dunkelhaarigen Dandy in karminrotem Jackett und mit Fransen besetztem weißen Hemd zeigte.
»Nein.«
Williams lächelte mit echter Freude. Jedes Mal, wenn er diese Geschichte erzählte, erinnerte er sich, dass die Navy anders war als alle anderen militärischen Einrichtungen, dass sie eine stärkere Bindung zur Vergangenheit besaß. Die Männer, die auf den ersten Schiffen dieser Flotte Dienst taten, hätten es zu schätzen gewusst, wie die Decatur geführt wurde – auch wenn es ihnen keine Freude bereitet hätte, von einem Farbigen Befehle zu erhalten.
»Sie haben das Glück, sich an Bord eines Schiffes zu befinden, das nach einem berühmten amerikanischen Kapitän benannt ist.«
»Sind das denn nicht alle?«
»Ich wünschte, ich könnte Ja sagen, aber so viele berühmte Kapitäne haben wir nicht. Einige Zerstörer haben zweitklassige Namensgeber. Oder schlimmer noch, Leute von den Marines.«
»Tragisch«, sagte Wheeler, die bereitwillig mitspielte.
»Hinter mir sehen Sie Commodore Stephen Decatur. Während des Kriegs von 1812 zerstörte er zwei britische Schiffe. Die dritte Schlacht wollen wir nicht erwähnen, denn die verlor er. Nach dem Krieg segelte er nach Nordafrika, wo er die Libyer niederschlug. Auf dem Weg dorthin wurde er für einen Ausspruch berühmt, den Machiavelli zu schätzen gewusst hätte: ›Unser Land! Möge es in seinen Beziehungen zu fremden Nationen immer im Recht sein und immer erfolgreich, ob im Recht oder im Unrecht.‹ Eine Art ›Besser tot als rot‹ des neunzehnten Jahrhunderts.«
»Ich hoffe, Sie werfen mich nicht über Bord, aber meiner Meinung nach hat uns diese Denkweise in den letzten Jahren in eine ganze Menge Schwierigkeiten gebracht. Wir müssen Autoritäten häufiger hinterfragen, nicht seltener.«
»Ihr Reporter könnt euch diesen Luxus leisten. Wir nicht. Wenn ein Befehl kommt, müssen wir ihn befolgen.«
»Was ist aus Decatur geworden?«
»Er starb 1820 bei einem Duell.«
»Ich kann nicht behaupten, dass mich das überrascht. Wer war sein Gegner?«
»Ein Kapitän im Ruhestand namens James Barron. Die Sache war die: Barron konnte nicht gut sehen, und aus zeitgenössischen Berichten geht hervor, dass ihn Decatur leicht hätte töten können. Aber weil der gute Kommodore fair sein wollte, begrenzte er das Duell auf acht Schritte und erklärte, dass er mit seinem Schuss nicht töten wolle. So zerfetzte Barron Decaturs Bauch, worauf dieser wenige Stunden später starb. Wissen Sie, welche Lektion ich aus dieser Geschichte gelernt habe?«
»Duelle sind unsinnig und gefährlich.«
»Der Krieg ist kein Spiel. Schiffe, wie dieses, sind trügerisch. Sie sind so groß, dass sie unsinkbar erscheinen. Aber reißt man ein Loch in den Rumpf, das groß genug ist, gehen sie unter wie ein Stein. Allerdings werde ich nicht zulassen, dass dies meiner Mannschaft zustößt.«
»Darf ich Ihren Ausspruch zitieren?«
»Selbstverständlich. Und kommen Sie bitte morgen um 11:00 Uhr in die Operationszentrale. Sie dürfen den ganzen Tag bleiben.«
»Danke, Captain.«
In diesem Augenblick läutete Williams’ Telefon. »Ja?«
»Skipper, vielleicht wollen Sie einmal herunterkommen.« Der Waffenoffizier rief aus der Operationszentrale an. »Wir haben hier ein Problem.«
»Ich bin in fünf Minuten unten.« Williams hielt den Hörer nachdenklich in den Händen.
»Was war das?«, erkundigte sich Wheeler.
»So wie es aussieht, bekommen wir früher etwas zu tun, als ich dachte.«
»Kann ich …«
Williams schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Mrs Wheeler. Keine Führung heute Abend.«
Wenn die Operationszentrale das Gehirn des Schiffes war, dann waren die vier gigantischen Turbinen der Decatur mit einhunderttausend Pferdestärken bei voller Fahrt das Herz des Schiffes. Die Operationszentrale war ein gut beleuchteter Raum von fünfzehn Metern Länge und zwölf Metern Breite in der Mitte des Schiffes, sodass er sowohl vor Raketen als auch Torpedos gleichermaßen geschützt war. Der fensterlose
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