John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
Geschichte festhalten.
James Wilson. Siebenunddreißig. Seine erste Reise nach China. Prunetime.com . Er war hier, um Programmierer anzuwerben. Ein Apartment auf zwei Ebenen mit drei Schlafzimmern. Palo Alto. Eine Ehefrau. Jennifer, Ärztin. Zwei Kinder, in der Grundschule. Amanda und Jim Jr. Blaue Hemden mit Button-down-Kragen und khakifarbene Hosen mit Bügelfalte. In seiner Freizeit lief er Marathons. Ein Abschluss in Informatik an der University of Illinois. Der größte Fehler seines Lebens: Im Jahr 2001 hatte er ein Stellenangebot von Google abgelehnt. Zumindest der größte Fehler bis heute. Er wusste nicht, was er getan hatte, aber all dies hier war ein Missverständnis. Sie mussten ihn laufen lassen.
Würden sie ihm glauben? Auf keinen Fall, dachte Wells. Aber vielleicht konnte er Zweifel wecken, ihr Tempo ein wenig drosseln. Vielleicht konnte er sie dazu bewegen, die Botschaft zu informieren und Diplomaten einzuschalten.
Wells wusste, dass er nicht verdiente, was ihm bevorstand. Gleichzeitig fragte er sich, ob er es auf gewisse Weise
nicht doch verdiente. Als ausgleichende Gerechtigkeit für die Menschen, die er im Lauf der Jahre getötet hatte. Oder vielleicht auch für etwas mehr: für die Art und Weise, wie sich sein Land von den Genfer Konventionen abgewendet hatte. Für Abu Ghraib und die geheimen Gefangenen, deren Namen die CIA nie an das Rote Kreuz weitergeleitet hatte. Für die Wasserbehandlungen, die Taser und die Folterungen, die nach Meinung von Anwälten keine Folterungen waren. Für den Wahnsinn, der im Irak Fuß gefasst hatte seit der Invasion, für die unzähligen Männer, Frauen und Kinder, die gestorben waren, weil die Narren im Weißen Haus die Mission im Jahr 2003 für beendet erklärt hatten. Und für die Tausenden von Soldaten, die in Stücke gerissen worden waren, weil Generäle, die im Pentagon in Armstühlen saßen, glaubten, gepanzerte Humvees seien ein Luxus und keine Notwendigkeit. Für alles, was in den verlorenen Tagen seit dem elften September passiert war.
Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Was für ein unsinniger Gedanke. Er war nicht Amerika, und die Qualen, die ihm bevorstanden, waren echt und nicht metaphorisch. Trotzdem hielt Wells daran fest, dass ihm das gebührte, was ihm nun bevorstand.
Er wüsste nicht, wie er es sonst ertragen sollte.
Als die Tür an der gegenüberliegenden Seite aufglitt, traten die beiden Hünen ein, die ihn in dem Garten gepackt hatten. Sie waren mit T-Shirt und Sporthose bekleidet, als gingen sie zum Training. Allerdings trugen sie auch Latexhandschuhe, billige Gummistiefel und zwei identische Leinentaschen. Von ihren Gürteln baumelten metallene Schlagstöcke.
Drei weitere Männer folgten. Wells erkannte alle. Der
erste war jener Mann, der ihm die schwarze Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Die anderen beiden Männer hatte er nur auf Fotos gesehen. Sie trugen die Uniform der Volksbefreiungsarmee mit Sternen auf dem Kragen.
Cao Se. Und Li Ping.
Li und Cao warteten im rückwärtigen Bereich des Raumes schweigend, während der dritte Mann in der Tasche kramte, die er bei sich hatte. Wells versuchte zu begreifen, warum Cao hier war. Wollte er den Narren sehen, den er in die Falle gelockt hatte? War seine Anwesenheit ein Signal für Wells, dass er gestehen solle, dass die Chinesen bereits alles wussten und es sinnlos war, nicht zu gestehen? Aber warum sagte er das nicht einfach? Warum spielte er dieses brutale Spiel? Oder wollte Cao Wells wissen lassen, dass er nicht allein war, dass Cao immer noch auf der Seite der Amerikaner stand und gekommen war, um ihn zu retten?
Vielleicht, aber es gab viele Möglichkeiten. Welche davon die richtige war, würde er erst herausfinden, wenn Li und die anderen gegangen waren und er mit Cao allein war. In der Zwischenzeit musste Wells die Rolle des verängstigten amerikanischen Touristen weiterspielen, was nicht allzu schwierig sein sollte.
»Ich weiß nicht, was ihr Kerle glaubt, aber ihr macht einen Fehler«, sagte Wells. »Hört mir zu.«
Niemand antwortete ihm. Der dritte Mann zog eine schwarze Schatulle aus der Tasche, die kaum größer war als ein Brillenetui. Er trat an Wells heran und hielt ihm die Schatulle geöffnet vor die Augen, damit er sehen konnte, was darin war.
Ein kleines Set Zangen und drei Skalpelle. Die Stahlklingen schimmerten im Licht. Wells’ Magen verkrampfte sich erneut. Setz auf die Angst, sagte er sich. Jeder Zivilist in deiner
Lage würde sich zu
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