John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
strich über den Verband, der seine gebrochenen Rippen bedeckte. Trotz der kühlen Nachtluft fühlte er sich schwindlig und fiebrig. Allmählich fragte er sich, ob er auch nur die nächsten zwölf Stunden durchhalten würde.
Die Fahrer und der Fischer traten an das Boot heran und schoben es vom Sand. Es glitt leicht dahin und schaukelte auf den flachen Wellen. Sobald Cao auf den roten Knopf an der Seite des Außenbordmotors drückte, setzte sich die Maschine grollend in Gang. Dann drehte er die Pinne etwas zur Seite und fuhr in die Bucht hinaus. Die Männer am Strand winkten ihnen nach.
»Cao, haben wir überhaupt einen Kompass?«
Cao reichte Wells einen Kompass. »Direkt nach Osten. Einfach.«
»Einfach. Inch’on oder Untergang.«
36
Osan Air Base, Südkorea
Die C-130 J Hercules rumpelte über die Rollbahn und beschleunigte langsam, während sie über den Asphalt hüpfte. Nicht weit entfernt von dem mit Gras bedeckten Auslauf am Ende des zweitausendsiebenhundert Meter langen Asphaltbandes hob sie schließlich die Nase in die Luft. Im Cockpit atmete Lieutenant Colonel Paul Bosarelli erleichtert auf. Die C-130 war ein kräftiges Biest, dennoch wäre er mit diesem speziellen Flugzeug nicht gern ins Schleudern geraten.
Niemand ging zur Air Force, um eine C-130 zu fliegen. Aber während der zwölf Jahre, die er nun schon Hercules-Pilot war, hatte Bosarelli diese hässlichen alten Vögel lieben gelernt. Die mit vier Propellern ausgestatteten Arbeitstiere der Air Force waren gewiss nicht so sexy wie eine F-22 oder B-2, dafür jedoch meist wesentlich nützlicher. Sie konnten selbst mit schweren Schäden immer noch überall abheben und landen. Abgesehen davon, dass sie Lasten transportierten und bei Spezialoperationen als Fallschirmabsprungbasis für die Einheiten dienten, fungierten sie als Tankflugzeuge, Feuerwehr und in Form der AC-130 Spectre sogar als Kampfflugzeug.
Dennoch vermutete Bosarelli, dass in den fünf Jahrzehnten, seit die Air Force das erste Flugzeug dieses Typs in Betrieb
genommen hatte, keine C-130 je eine Ladung wie diese transportiert hatte.
Und das war vermutlich auch gut so.
Drei Minuten nachdem der chinesische Torpedo den Rumpf des Zerstörers durchschlagen hatte, waren die ersten Berichte vom Angriff auf die Decatur im Führungszentrum in Osan eingetroffen. Weil niemand abschätzen konnte, ob der Angriff eine Einzelaktion oder Teil eines groß angelegten chinesischen Vorstoßes war, hatte Brigadier General Tom Rygel, der Leiter des Zentrums, für den Luftstreitkräftestützpunkt Alarmstufe Charlie-Plus ausgerufen. Dies war die zweithöchste Alarmstufe hinter Delta, die einen unmittelbaren Angriff ankündigte. Rygels Entscheidung war nur allzu verständlich, denn Osan war die nächstgelegene amerikanische Basis zu China. Die Grenze zwischen der Volksrepublik und Nordkorea lag nur vierhundertachtzig Kilometer weiter nördlich. Diese Distanz konnten die neuesten chinesischen Kampfjets vom Typ J-10 mit Nachbrenner in fünfzehn Minuten zurücklegen.
Innerhalb einer Stunde nach dem Angriff auf die Decatur hatte die 51st Fighter Wing von Osan zusätzlich sechs F-16 in die Luft geschickt, die sich den beiden bereits patrouillierenden Jets anschlossen. Weitere acht Jets standen in Bereitschaft. Selbstverständlich waren die sechzehn Kampfjets den vielen Hundert chinesischen Jets, die jenseits der Grenze warteten, zahlenmäßig bei Weitem unterlegen. Aber die amerikanischen Flugzeuge übertrafen die neuesten J-10s in ihren technischen Fähigkeiten so deutlich, dass es von den Chinesen unvernünftig gewesen wäre, sie herauszufordern. Vermutlich hatte der Kapitän der Decatur Ähnliches angenommen, dachte Bosarelli.
Während die Kampfjets davonflogen, blieb Bosarelli nichts anderes zu tun, als im Bereitschaftsraum Kaffee zu trinken und den beißenden Schmerz in seinem Magen zu ignorieren. Während neunzig Prozent der Zeit – verdammt, fünfundneunzig – hatte er mehr zu tun als diese eingebildeten Jungs. Aber in Augenblicken wie diesen fühlte er sich wie ein Versager. Im Vergleich zu einem Kampfjet – und zwar wirklich jedem beliebigen Kampfjet – war seine C-130 nur eine fliegende Zielscheibe.
Dann ging die Tür zum Bereitschaftsraum auf. Ein Lieutenant sah sich um und steuerte dann direkt auf Bosarellis Tisch zu. »Colonel Bosarelli.«
»Ja.« Bosarelli kannte den Mann vom Sehen, aber nicht seinen Namen. Er war einer von Hansells Laufburschen. Lieutenant General Peter Hansell war der
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