John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
und Chinesen neuerdings aufführen? Ich gebe auf.«
»Wirklich?«
»Nein. Aber bei Autos mache ich eine Ausnahme. Ich kann’s nicht ändern.«
Tatsächlich hatte sich Wells gerade einen Subaru Impreza WRX, einen japanischen Sportwagen mit Turboaufladung, gekauft, der nicht besonders aussah, aber in gerade einmal vier Sekunden von null auf einhundert beschleunigte. »Jetzt mal ehrlich, du musst was wegen dieser Karre unternehmen. Das Ding gehört in Pimp my ride. Vielleicht schicke ich denen ein Video.«
»Seit wann interessierst du dich für Reality-Shows?«
»Ich bin eben auf der Höhe der Zeit.«
Exley musste lachen. »Du bist vieles, John, aber das bist du nicht.«
Der Washingtoner Verkehr war berühmt-berüchtigt, doch selbst nach den hier herrschenden Standards war es ein besonders übler Morgen. Ab der 18th Street ging es auf der Constitution Avenue nur noch im Schritttempo voran, und das obwohl noch fünfhundert Meter bis zur Auffahrt auf die Roosevelt Memorial Bridge, eine der Hauptverbindungen zwischen dem District of Columbia und Arlington, fehlten.
Wells schaltete das Radio ein. Offenbar hatte jemand am Ende der Brücke, an der Ausfahrt zum George Washington Parkway, ein Auto stehen lassen. Auf der 14th Street Bridge sah es nicht besser aus, weil dort gegen sechs Uhr morgens ein Auto ausgebrannt war. Das Feuer war rasch gelöscht worden, aber der Vorfall wurde noch untersucht. Wells schaltete das Radio aus. »Wir hätten im Bett bleiben sollen.«
»Habe ich dir doch gleich gesagt.«
Eine rote Ducati flitzte links an ihnen vorbei, ein schönes, gedrungenes Motorrad, das sich durch die schmale Asphaltgasse zwischen dem stehenden Verkehr auf beiden Fahrbahnen schlängelte. Fahrer und Beifahrer hatten sich gegen die Kälte warm eingepackt, trugen dicke Handschuhe und schwarze Helme mit verspiegelten Visieren. Im Vorbeifahren sahen sie sich nach dem Minivan um.
»Ich glaube, die lachen uns aus«, meinte Wells. »Die Maschine ist vermutlich zehnmal so viel wert wie die Karre hier.«
»Sollen sie ruhig lachen. Dafür ist es draußen eiskalt.«
»Wenn wir mein Motorrad genommen hätten, wären wir schon da.« Auch wenn Harley und Honda in ihrer Werbung lieber auf Road-Movie-Romantik setzten, war
die Möglichkeit, einen Stau zu durchfahren, eine der großen, obgleich unterschätzten Freuden des Motorradfahrens.
»Wer nimmt schon bei null Grad Außentemperatur das Motorrad?«
»Du hast doch mich als Windschutz.«
»Bei diesem Wetter hilft das auch nichts.«
Wells’ Handy klingelte. Es war Steve Feder, der tagsüber für ihre Sicherheit zuständig war. Er saß auf dem Beifahrersitz in dem schwarzen Chevrolet Suburban hinter ihnen. »Soll ich das Blaulicht einschalten, um uns hier rauszuholen?«
»Nur, wenn Sie irgendeinen Verdacht haben«, erwiderte Wells. Als er sich umdrehte, winkte Feder huldvoll.
»Nichts Konkretes.«
»Dann nicht. Wir warten wie alle anderen.«
»Geht in Ordnung.« Damit war das Gespräch beendet.
Zwanzig Minuten später waren sie nicht weiter als bis zum Block zwischen 20th und 21st Street gekommen. Rechts von ihnen erhoben sich die Betonsäulen der Federal Reserve - der amerikanischen Zentralbank -, die fast den gesamten Häuserblock einnahm und deren geheimnisvolle Aktivitäten Wells schon immer ein Rätsel gewesen waren.
Die Ampel vor ihnen schaltete auf Grün, und sie schoben sich ein paar Fahrzeuglängen weiter vor.
»Vielleicht haben sie den Wagen endlich weggeschafft.«
»Vielleicht«, stimmte Exley zu. »Woran denkst du?«
Wells deutete mit dem Kopf auf die Fed. »Sieht solide aus, was? All diese großen, grauen Gebäude.«
»Zumindest halten sie schon eine ganze Weile.«
»Vielleicht haben wir einfach nur Glück gehabt.«
»Das Schiff ist solide gebaut. Und es gibt eine Menge Leute wie uns, die nach Lecks Ausschau halten.«
»Tun wir das denn? Klingt ja aufregend.«
Hinter ihnen hörte Wells in der Ferne ein Motorrad. Und dann noch eins.
Plötzlich ging ihm ein Licht auf.
Wer nimmt schon bei null Grad Außentemperatur das Motorrad?
Unfälle auf gleich zwei Brücken.
Das waren zu viele Zufälle für einen Tag.
Wenn er sich irrte … auch egal. Dann würde er die Sache unter Verfolgungswahn abhaken und hatte etwas, worüber er diese Woche bei seiner Selbsthilfegruppe sprechen konnte.
Leider war er sich ganz sicher.
Er drehte sich um, aber der massige Suburban versperrte ihm die Sicht. Also beugte er sich vor und warf einen Blick in den
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