John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
gedemütigt hatte.
»Du hast seinen Kopf mit Isolierband umwickelt«, wiederholte Shafer, als Wells fertig war.
»Aber ich habe darauf geachtet, dass er atmen konnte.«
»Das war sehr rücksichtsvoll.«
»Jetzt weißt du Bescheid.«
»Ja, jetzt kann ich mir vorstellen, dass er sauer ist.« Wells las die unausgesprochene Frage auf Shafers Gesicht: Warum? Was hast du dir dabei gedacht? Selbst jetzt wusste Wells nicht genau, was ihn dazu getrieben hatte. Er wusste nur, dass er Kowalski hasste. Mit Waffen zu handeln, mit dem Tod Geschäfte zu machen, dafür gab es weder Erklärung noch Entschuldigung.
»Trotzdem. Vielleicht war er es ja gar nicht«, gab Shafer zu Bedenken. »Vielleicht steckt Al-Qaida dahinter.«
»Al-Qaida hätte mir einen Lkw mit Sprengstoff vor das Haus gestellt. Kowalski war außer sich vor Wut über die Sache mit dem Isolierband. Er hat gedroht, mich zur Strecke zu bringen - koste es, was es wolle. Und wir wissen, dass er Kontakte nach Russland hat. Die Leute von heute Morgen waren Profis. Verstehst du jetzt, warum ich die Sache möglicherweise selbst in die Hand nehmen muss, Ellis?«
»Ja.«
Keiner von ihnen sprach das Offensichtliche aus: Zur Zeit tat Russland alles, um zu beweisen, dass es den Westen nicht brauchte. Als 2006 ein früherer KGB-Agent in einem Londoner Restaurant vergiftet wurde, hatte sich der Kreml praktisch geweigert, Scotland Yard bei den Ermittlungen zu unterstützen. Wenn die Verbindung zwischen Kowalski und dem heutigen Mordanschlag über Moskau lief, würde die CIA Probleme haben, die Russen zur Zusammenarbeit zu bewegen.
»So schlecht sieht es gar nicht aus, John«, meinte Shafer. »Heute sind zwei unserer eigenen Leute ums Leben gekommen. Praktisch direkt vor dem Weißen Haus. Solch eine Provokation können wir nicht ignorieren. Wenn wir nachweisen, dass es tatsächlich eine Verbindung gibt, wird der Präsident ganz schön Druck auf den Kreml ausüben.«
» Falls wir es nachweisen können.«
»Versprich mir eines: Was auch immer du tust, sag mir Bescheid. Und zwar rechtzeitig. Gib mir zumindest Gelegenheit, dir einen Rat zu erteilen. Wo ich doch so schlau bin.«
»Von mir aus.«
»Und jetzt finden wir heraus, wie es deinem Mädchen geht.«
»Unserem Mädchen«, verbesserte Wells.
»Unserem Mädchen.«
Aber die Schwestern wussten nichts Neues. Exley wurde immer noch operiert.
»Was heißt das?«, fragte Shafer.
»Das heißt, sie wird immer noch operiert. Gehören Sie zur Familie?«
Wells beugte sich zu der Schwester. »Miss Exley ist meine Verlobte. Falls Sie also irgendwelche Informationen …«
»Ich habe keine. Vermutlich wird es noch eine Weile dauern, bis Ihnen jemand mehr sagen kann.«
»Danke.«
»Verlobte?«, flüsterte Shafer, als die Krankenschwester wegging. »Ist der Ring unsichtbar? Gesehen habe ich nämlich keinen.«
»Sie wollte keinen Ring.«
»Du verstehst wirklich nichts von Frauen.«
Und du hast keine Ahnung von Exley, hätte Wells am liebsten gesagt. Die hätte sich auch über einen Ring aus dem Kaugummiautomaten gefreut. Aber vielleicht hatte Shafer Recht. Immerhin hatte seine Ehe dreißig Jahre gehalten, Wells hatte kaum zwei geschafft.
»Wolltet ihr die Sache offiziell machen?«, fragte Shafer. »Oder hat sie darauf auch keinen Wert gelegt?«
»Das hatten wir für Silvester geplant. Eine ganz schlichte Sache, eben auf unsere Art. Direkt vor der Südamerikareise. Das sollten unsere Flitterwochen werden.«
»Davon hast du mir nichts erzählt.«
»Wir haben keinem was gesagt. Nur ihren Kindern. Nicht einmal unsere Exgatten wissen davon.« Wells wandte sich ab, lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Der weiße Putz fühlte sich kühl und tröstlich an.
»Ellis, was soll ich ihren Kindern sagen?«
»Dass du sie liebst. Und dass sie gesund wird.«
Als Wells die Augen öffnete, stand Vinny Duto, der Direktor der CIA, neben ihm. Um ihn herum hatten sich fünf Muskelpakete aufgebaut - seine Leibwächter.
Duto streckte die Hand aus, und Wells sah sich gezwungen, sie zu nehmen. Seit Duto bei der Times-Square-Mission Wells’ Loyalität infrage gestellt hatte, konnte Wells es kaum ertragen, sich mit ihm im selben Raum aufzuhalten. Vermutlich beruhte das Gefühl auf Gegenseitigkeit. Duto fand ihn arrogant, unzugänglich, unkontrollierbar, und vielleicht hatte er gar nicht so Unrecht.
»Es tut mir leid, John. Ehrlich. Wie geht es ihr?«
»Sie wird noch operiert.«
Duto legte ihm sanft die Hand auf die
Weitere Kostenlose Bücher