John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
hieß, er war mit einem ausländischen Diplomatenpass gereist. Oder illegal über die mexikanische Grenze gekommen. Oder mit dem Auto aus Kanada, wo Fingerabdrücke noch nicht routinemäßig abgenommen wurden. Anders gesagt, die Ermittler hatten keine Ahnung, wie er ins Land gekommen war. Zumindest noch nicht.
»Das ist alles, was wir wissen«, sagte Shafer, als er fertig war.
»Haben wir uns bereits an die Russen gewandt?«
»Bisher gibt es keinen Beweis dafür, dass sie Russen waren. Die Kreditkarte ist bisher unsere vielversprechendste Spur. Solange wir den Pathfinder nicht haben.«
»Du meinst, sie haben ihr ganzes Zeug im Auto gelassen?«
»Irgendwo müssen Pässe und Handys ja sein. Außer sie hatten ein Fluchthaus. Und wenn sie das gehabt hätten, wären sie wohl kaum im Hotel abgestiegen.«
Die Instandhaltungsabteilung trieb ein Feldbett auf und brachte es in Wells’ Büro im fünften Stock des alten Old Headquarters Building. Aber als er die Augen schloss, konnte er nicht schlafen. Er hätte schwören können, dass er sie, den Zitrusduft ihres Parfüms, riechen konnte.
Gegen Mitternacht kam Shafer herein. »Steh auf und zieh dich an.«
»Haben sie was gefunden?«
»Ich nehme dich mit nach Hause in die Casa Shafer. Wir trinken ein Bier, sehen fern und tun so, als wäre nichts passiert.«
»Mit geht es gut.«
»Nein, tut es nicht. Zieh dich an. Du wirst noch genügend Zeit für deine blutigen Racheträume haben.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
8
Es dauerte nicht lange, bis der Pathfinder gefunden wurde. Fünfzehn Stunden nach dem Anschlag, etwa um die Zeit, als Wells und Shafer nach Hause kamen, entdeckte ein Washingtoner Polizeibeamter den Wagen im Nordosten der Stadt, zwei Blocks von der Haltestelle Rhode Island Avenue der Red-Line-Metro entfernt.
Im Handschuhfach lagen zwei polnische Pässe, zwölftausend Dollar in bar und ein Einweghandy. Die Pässe waren vor zwei Monaten ausgestellt worden und dieselben, mit denen die verhinderten Killer über Atlanta eingereist waren. Ein paar Stunden später nahmen sechstausend Kilometer von Washington entfernt die für ihre Grimmigkeit berüchtigten Agenten des polnischen Militärgeheimdienstes WSI den Beamten fest, der die Pässe ausgestellt hatte. Er war so klug, ein sofortiges Geständnis abzulegen, behauptete aber steif und fest, keine Ahnung gehabt zu haben, wofür die Pässe bestimmt gewesen waren. Seine Abnehmer seien Russen gewesen und hätten bar bezahlt.
Unterdessen befassten sich Spezialisten der National Security Agency mit dem Mobiltelefon. Da es sich um ein Einweghandy handelte, hätte es eigentlich keine Informationen enthalten dürfen. Die Anruflisten waren gelöscht, und es war auch kein Anruf mit dem Gerät getätigt worden.
Aber durch irgendeine Hexerei, die Wells beim besten Willen nicht verstand, fanden die NSA-Techniker im Speicher des Telefons Aufzeichnungen über zwei empfangene Anrufe. Beide waren in der Nacht vor dem Mordanschlag eingegangen. Es handelte sich um sechzehnstellige ausländische Nummern. Die Ländervorwahl war 007 für Russland, die Vorwahl der Stadt 495 für Moskau. Auf Anhieb ließen sich die Anrufe nicht zurückverfolgen. Die Nummern existierten scheinbar nicht. Wie die Durchwahlen der CIA-Zentrale im nördlichen Virginia waren sie zumindest nicht in den öffentlich zugänglichen Telefondatenbanken verzeichnet.
Am nächsten Tag ersuchte Walter Purdy, der amerikanische Botschafter in Russland, um ein Gespräch mit dem russischen Innenminister Alexander Milow. Purdy sagte, es gebe Hinweise auf eine Verbindung der Terroristen, die den Anschlag in Washington verübt hätten, nach Russland, erwähnte das Mobiltelefon jedoch nicht.
Was für Hinweise?, fragte Milow zurück. Waren die Attentäter eindeutig identifiziert worden? Noch nicht, musste Purdy zugeben. Aber die Auftragsmörder waren mit falschen polnischen Pässen gereist. Laut Aussage des Passbeamten, der die Papiere ausgestellt hatte, handele es sich bei den Männern um Russen. Würde Russland den Vereinigten Staaten gestatten, eigene Agenten nach Moskau zu entsenden, um weitere Ermittlungen anzustellen?
Zunächst einmal, so Milow, möge es ihm gestattet sein, der Empörung des Kremls über diesen Anschlag Ausdruck zu verleihen. Am helllichten Tag. Und in unmittelbarer Nähe des Weißen Hauses. Furchtbar. Selbstverständlich werde die russische Regierung jede nur
erdenkliche Unterstützung anbieten. Selbstverständlich,
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