John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
sein Körper, und er musste sich zwingen, das Zeug herunterzuwürgen. Nach einem besonders fettigen Brathähnchen hing er plötzlich über der Toilette.
Immerhin nahm er jeden Tag ein halbes Kilo zu. Insgesamt legte er acht Kilo zu und bekam allmählich ein Doppelkinn und Rettungsringe um die Taille. Mit dem neuen Gesicht, dem schlaffen Kinn und dem Schmerbauch wirkte er wie ein neuer Mensch. Exley, Shafer und jeden, der
ihn wirklich kannte, hätte er natürlich nicht hinters Licht führen können. Aber Iwan Markow hatte nur Fotos von ihm gesehen, und er musste Markow und seine Männer auch nur für einen beschränkten Zeitraum täuschen. Nur so lange, bis sie sich zu einem Treffen an einem abgeschiedenen Ort bereiterklärt hatten.
Am neunten Tag seiner Fress- und Bräunungskur holte er sich in der in einem Untergeschoss untergebrachten CIA-Abteilung für Wissenschaft und Technik einige ungewöhnliche Ausrüstungsgegenstände ab - nur bei uns erhältlich , wie die Techniker witzelten. Außerdem bekam er fünf neue Pässe auf fünf verschiedene Namen. Zwei davon waren amerikanisch, einer französisch, einer libanesisch und einer syrisch.
Er fuhr nach Washington und übergab einen der amerikanischen Pässe einem Kurierdienst, der vierhundert Dollar kassierte und ihm dafür in höchstens zwei Tagen ein russisches Touristenvisum versprach. Sein neuer libanesischer Pass enthielt bereits ein gefälschtes russisches Visum, außerdem hatte er zusätzliche Einreisepapiere. Die russischen Grenzbeamten würde er damit nicht täuschen können, aber für seine Pläne konnten ihm die Dokumente trotzdem nützen.
Nach drei Tagen im George Washington Hospital wurde Exley ins Walter Reed Army Medical Center verlegt, wo die Bewachung einfacher war. Aufgrund der Rückenmarksverletzung hatte sie unerträgliche Schmerzen am Rücken und im linken Bein, so dass sie sich jeweils nur wenige Minuten auf den Beinen halten konnte. Wells besuchte sie jeden Tag mehrere Stunden - nach ihren Reha-Anwendungen, bei denen sie ihn nicht dabeihaben wollte.
Er drehte sie auf die Seite und rieb ihr den Rücken, so lange sie ihn ließ.
Trotz der Schmerzen verweigerte sie sehr schnell die Morphininfusion und das Vicodin, die ihr die Ärzte anboten. Sie musste Wells nicht sagen, warum. Ihr Vater war Alkoholiker gewesen, und sie hatte Angst, süchtig zu werden, egal wonach. Aber der Preis, den sie für den Verzicht auf die Medikamente zahlte, war ihr deutlich anzusehen. Wenn sie von ihren Reha-Anwendungen zurückkehrte, waren ihre Augen nass von Tränen.
Zu Beginn ihrer zweiten Woche im Krankenhaus brachte er ihr Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten , eines ihrer Lieblingsbücher, und las ihr daraus vor. »›Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Maria: Du bist nicht auf dem Laufenden, Sherman. Immobilienmakler sind im Moment sehr chic.‹«
Exley lächelte schwach. »Maria hat einen Südstaatenakzent, John, aber sie ist nicht verblödet.«
»Das sollte ein Südstaatenakzent sein.«
»Ich hoffe, dein Arabisch klingt überzeugender.«
»Das hoffe ich auch.«
Sie hob die Hand und fuhr über seinen Stoppelbart. »Bisher habe ich ja so getan, als hätte ich nichts gemerkt, aber in der letzten Woche hast du dich mehr und mehr in einen Araber verwandelt. Willst du mir erzählen, was du vorhast?«
Wells legte das Buch beiseite und sah in ihre müden Augen. »Willst du’s wirklich wissen?«
»Ich will, dass du den Bart abrasierst und hier bleibst, wo du deinen Südstaatenakzent üben kannst.«
Wells schwieg.
»Du denkst, du tust das für mich, aber das stimmt
nicht. Du bist süchtig. Es macht dich fertig, aber du kannst nicht aufhören.« Als sie ihn ansah, wich er ihrem Blick aus. »Widersprich mir, John. Schrei mich an. Das macht mir nichts aus. Aber zeig mir, dass du mich hörst.«
Sie hatte Recht und auch wieder nicht. Wells hatte noch nie so ein Gefühl erlebt. Selbst wenn er das Falsche tat - und das war durchaus denkbar -, konnte er nicht anders. Diese Leute sollten für das büßen, was sie Exley angetan hatten. Auch wenn sie das nicht wollte. Wie er zu Shafer gesagt hatte: Diese Männer hatten den Tod mehr als verdient. Sie hatten versucht, ihn zu ermorden, und waren gescheitert. Wenn er sie sich vornahm, würden sie genau wissen, warum. Für ihn wäre es eine große Erleichterung.
»Ich kann ihnen das nicht durchgehen lassen, Jenny. Ich weiß, dass es besser wäre, aber ich kann es nicht.« Wells griff nach dem Buch. »Komm, ich
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