John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
zwischen Zagreb und Athen. Nicht einfach nur tödlich, nein, er war der tödlichste.
Kowalski fragte sich, wie er sich diesen Titel erworben hatte. Die serbischen Paramilitärs hielten ja wohl keine Wettschießen ab. Oder vielleicht doch? Während der hässlichen Kriege, die in den neunziger Jahren den Balkan verwüstet hatten, war bestimmt reichlich Gelegenheit gewesen.
»Er ist der Beste«, behauptete Tarasow.
»Das waren Markows Männer angeblich auch. Hoffentlich hat er bei Wells mehr Erfolg, wenn es hart auf hart geht.«
»Ich übernehme die Verantwortung.«
»Anatolij, du übernimmst die Verantwortung dafür, dass dein Gehalt unter die Leute kommt, und sonst für gar nichts. Wenn ich leere Worte hören will, schalte ich lieber den Fernseher ein. Aber besorg diesem Dragon ein paar Anzüge. Er soll hier nicht wie ein serbischer Gangster rumlaufen, auch wenn er einer ist.«
Tarasow ging und ließ Kowalski allein. Er blickte auf den Zürichsee hinaus. Im Süden, jenseits des Sees, stiegen die Berge sanft an. Hinter der Stadt im Westen war die Sonne bereits untergegangen. Am anderen Seeufer funkelten die Lichter der Häuser und Fabriken friedlich in der Dezemberdämmerung. Aber der Anblick trug nichts zu Kowalskis Seelenfrieden bei.
1980, kurz nachdem er in die Firma seines Vaters eingetreten war, hatte Kowalski sein erstes großes Geschäft abgewickelt, was sich als nicht ganz einfach entpuppt hatte. Der Kunde war ein großspuriger General aus Surinam gewesen, der seine Geliebte mitgebracht hat. Kowalski hatte sich bei seinem Vater darüber beschwert, dass der General nicht mit sich handeln ließ.
»Ich habe ein Paket zusammengestellt, das auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist, aber es ist ihm angeblich zu teuer.«
»Und?«
»Der Listenpreis liegt bei zweiunddreißig Millionen, aber ich habe ihm gesagt, wir wären flexibel. Wenn wir bis auf siebenundzwanzig Millionen heruntergehen, verdienen
wir immer noch daran. Ich verstehe nicht, warum er nicht handeln will. Wahrscheinlich ist er zu beschäftigt mit seiner Geliebten.«
»Pierre, ich hätte das Geschäft selbst abwickeln können. Weißt du, warum ich es dir überlassen habe?«
»Nein, Vater.« Kowalski hatte sich das auch schon gefragt.
»Was ist unsere mächtigste Waffe?«
Die Frage gab Kowalski zu denken. »Vermutlich die fest montierten Kanonen mit panzerbrechenden Wuchtgeschossen …«
»Pierre, hast du denn bei Lazard gar nichts gelernt? Unsere mächtigste Waffe ist die Information. Wie hoch ist General Paulines Budget?«
»Laut Akte einundzwanzig Millionen.«
»Richtig. Und laut unserer Quelle ist das seine oberste Grenze. Wieso also bietest du ihm ein Paket für zweiunddreißig Millionen an?«
»Die Sikorskys, die ich ihm empfohlen habe, sind für seine Zwecke besser …«
»Er kann sie sich nicht leisten. Wenn du ihn unter Druck setzt, wird er sich wie ein Bettler vorkommen. Und jetzt ruf ihn an, bevor er abreist. Besorg ihm, was er braucht, für einundzwanzig Millionen.«
»Aber die Sikorskys …«
»Tu nicht so, als würdest du den Unterschied zwischen einem Sikorsky und einem Moskito kennen. Du hast vielleicht die technischen Daten im Kopf, aber du bist kein Soldat. Das darfst du nie vergessen.«
Bis zu seinem Tod hatte es Kowalskis Vater immer wieder fertiggebracht, dass sich sein Sohn wie ein ungezogener kleiner Junge vorkam.
»Und selbst wenn du den Unterschied kennen würdest, heißt das noch lange nicht, dass das für General Pauline relevant ist. Der Mann kämpft nicht gegen amerikanische Elitetruppen, er scheucht Rebellen durch den Dschungel, bis beide Seiten die Kämpfe satt haben. Die meisten unserer Produkte werden in Lagerhallen verrosten. Die Waffen sind dazu gedacht, das Selbstbewusstsein der Generäle, Verteidigungsminister und Präsidenten zu heben, damit sie sich besser fühlen. Dieser Mann hat die weite Reise nach Zürich auf sich genommen, um ein Geschäft zu machen - nicht um sich vor seiner Gespielin blamieren zu lassen. Nutzen wir unser Wissen, um ihm entgegenzukommen.«
»Ja, Vater.«
Diese Lektion hatte Kowalski nie vergessen. Jedes Jahr gab er Millionen Franken für Informanten in den Armeen und Geheimdiensten der ganzen Welt aus. Aber im entscheidenden Augenblick hatten sich seine Quellen in den Vereinigten Staaten als nutzlos erwiesen. Die Amerikaner hatten erfolgreich verhindert, dass Informationen über die Untersuchung des Anschlags durchsickerten. Die Presse tappte genauso im Dunkeln wie die
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