John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
davon. Verzweifelt versuchte er, sich gegen die peitschenden Wogen zu ihnen zurückzukämpfen.
»Hierher!«, brüllte er. »Hierher!«
Haxhi schwang die Ruderpinne zur Seite, um das Boot zu wenden, doch Nasiji ging zum Heck und packte ihn am Arm. »Was …«
»Wir haben bereits eine verloren. Wir können das nicht riskieren.«
»Hilfe!« Ebbans Stimme klang schrill und panisch. »Bitte!«
»Er ist mein Erster Offizier«, sagte Haxhi unsicher. »Ich kenne ihn seit …«
»Selbst wenn es uns gelingt, ihn zu retten, wird er erfrieren«, erwiderte Nasiji.
Jussuf legte eine Hand auf den langen Krummdolch, mit dem er dem unglückseligen Grigorij Farsadow solche Angst eingejagt hatte.
Haxhi warf einen langen letzten Blick auf Ebban und wandte sich ab. »Gott vergebe uns«, sagte er. »Uns allen.« Er nahm Kurs auf die Küste und gab Gas.
Eine endlose Minute verging, bis Ebbans Schreie verklangen. Die drei Männer im Boot schwiegen, selbst als der Wind nachließ, die Schneefälle aufhörten, und das Leuchtfeuer erneut durch die Wolken brach.
Wir sind Allahs Werkzeug, hatte Nasiji am Nachmittag zu Jussuf gesagt. Aber in dieser Nacht hatte Allah sie im Stich gelassen. Drei Jahre Arbeit, der perfekte Diebstahl - alles zunichtegemacht, durch einen nicht fest genug gebundenen Knoten und eine Böe, die aus dem Nichts aufgetaucht und ebenso plötzlich wieder verschwunden war.
Eine Bombe hatten sie noch. Aber wie viel Uran enthielt die? Vielleicht dreißig Kilogramm. Hoffentlich. Dreißig Kilo Uran würden jedoch kaum reichen, um eine Bombe nach dem Kanonenrohrprinzip zu bauen. Deswegen hatte er sich ja zwei besorgt. Er brauchte zwei. Die hatte er auch gehabt. Vielleicht mit einem Beryllium-Reflektor … aber er hatte kein Beryllium. Gleich morgen würde er Bernhard bitten, weiter danach zu suchen. Aber erst einmal musste er die verbliebene Bombe an Land und über die US-amerikanische Grenze bringen. Danach musste er den Kern freilegen, eine mühsame und gefährliche Arbeit.
Die nächste halbe Stunde lang saß Nasiji im Bug des
Bootes und hielt den Kopf in den Wind geduckt, während vor ihnen endlich die zerklüftete Granitküste von Neufundland aus den Wolken auftauchte. Sein erster Blick auf die neue Welt war der, der sich Wikingern, Engländern und allen anderen Eroberern vor ihm geboten hatte. Die Engländer waren gekommen, Nordamerika zu erobern. Das war ihnen nur allzu gut gelungen. Jetzt aber wollte Nasiji ihren illegitimen Nachfahren eine Lektion in Bescheidenheit erteilen.
Als sie sich dem Festland näherten, erspähte Nasiji ein paar vereinzelte Lichter aus den Häusern von Trepassey. Das Dorf lag an einer in die Küste geschlagenen Straße oberhalb der vorgelagerten Landspitze, auf der sich in stolzer Einsamkeit der Leuchtturm erhob. Aber sie waren mindestens zwei Kilometer vom Dorf entfernt, und noch während Nasiji die Gestalt der Siedlung in sich aufnahm, verringerte Haxhi die Geschwindigkeit, um nach Westen zu steuern, bis sie außer Sicht waren. Langsam hielt er auf eine kleine halbmondförmige Bucht zu, die durch einen brüchigen Steilhang vom Auge des Leuchtturms abgeschirmt wurde. Sie fuhren in die Bucht. Die Wellen wichen zurück, der Atlantik seufzte und gab sie schließlich frei. Seine Wasser hatten für eine Nacht genug Opfer gefordert, dachte Nasiji.
Haxhi landete an und stellte den Motor ab. Hinten in der Bucht wartete ein großer Ford-Geländewagen. Er rollte über die großen, flachen Steine am Strand und hielt neben ihnen.
Baschir, ein großer Mann mit dichtem schwarzem Haar, stieg aus und ging auf das Boot zu.
»Meine Brüder«, sagte er, als Jussuf und Nasiji heraussprangen.
13
Zürich
Das Steak wäre der Traum jedes Cowboys gewesen. Zweieinhalb Zentimeter dick, mit feinen Fettadern durchzogenes Fleisch füllte Kowalskis Teller. Ein Stück vom mit Gras gefütterten Kobe-Rind, das frisch mit dem Swiss-Air-Direktflug Tokio-Zürich gekommen war. Auf dem Viking-Herd in Kowalskis Küche in Butter angebraten und umgehend medium rare im Speisezimmer serviert, während das zarte Fleisch noch im eigenen Saft brutzelte.
Kowalski hatte von diesem Steak geträumt, seit Rossi, dieser sadistische Ernährungsberater, mit seinem gekochten Fisch und seinen Tofusalaten in sein Leben getreten war. Heute hatte er beschlossen, Rossi zu ignorieren und sich etwas zu gönnen. Das beste Fleisch, das auf dem Markt erhältlich war, und eine Flasche Burgunder.
Aber warum hatte er keinen Appetit?
Er schnitt
Weitere Kostenlose Bücher