John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Stimmen, die unregelmäßig an- und abschwoll wie das Heulen des Windes über der Sahara. Nachdem er etwa eine Stunde lang gewartet hatte, hörte Baschir einen unheimlichen, hohen Schrei, ein Pfeifen wie von einem Teekessel, das nach wenigen Sekunden verstummte. Es kehrte nicht zurück. Vielleicht hatte er es sich nur eingebildet.
Baschir wartete zwei Stunden, bis die Wachen Ayman hereinführten. Als es endlich so weit war, wünschte Baschir fast, er hätte länger warten müssen. Die drei Wochen, die Ayman im Gefängnis verbracht hatte, waren ihm deutlich anzusehen. Die Hände waren mit Handschellen auf den Rücken gefesselt, und er hinkte, als er ins Besuchszimmer kam. Ein billiges, weißes T-Shirt, das eine
Nummer zu klein war, spannte sich über seinem Bauch. Ein jämmerlicher Anblick, wo Ayman doch immer so sehr auf ein gepflegtes Äußeres bedacht gewesen war. Seine teigige graue Haut erinnerte Baschir an Kichererbsenpüree, das zu lange in der Sonne gestanden hatte. Ein Gefängniswärter stieß Ayman vor sich her zu der schmalen Holzbank, auf der Baschir saß. Mühsam schlurfte er zu ihm und ließ sich rittlings auf der Bank nieder.
»Können Sie ihm nicht die Handschellen abnehmen? Bitte!«, fragte Baschir den Wärter.
Statt einer Antwort deutete der Mann auf ein handgeschriebenes arabisches Schild, das ungeschickt mit Klebeband an der Wand befestigt war: Die Gefangenen müssen im Besucherbereich jederzeit gesichert sein.
»Aber sehen Sie ihn sich doch an. Mein Onkel tut doch keinem was.«
»Trotzdem. Die Handschellen abzunehmen ist kompliziert.« Kompliziert. Das Codewort für Bestechung.
»Einhundert Pfund«, flüsterte Ayman.
Baschir hatte gewusst, dass er selbst mit der offiziellen Genehmigung aus der Zentrale des Mukhabarat Geld brauchen würde, um in das Gefängnis zu kommen. Er hatte vierhundert ägyptische Pfund mitgebracht, etwa fünfundsiebzig Dollar. Dummerweise hatte er sein letztes Geld bezahlt, um ein Gläschen von Aymans Blutdruckpillen mit ins Besuchszimmer nehmen zu dürfen. Jetzt hatte er nichts mehr für diesen Wärter. Er schüttelte den Kopf. Der Wärter verließ türenknallend den Raum.
»Geht es dir gut, Onkel?«
»Ich vermisse meine Zigaretten. Und meine Tabletten.«
»Mit Zigaretten kann ich nicht dienen, aber die Tabletten habe ich. Was ist mit deinem Bein passiert?«
Ayman lachte. »Das habe ich mir an der Tür verletzt. Sagen sie zumindest.«
»Du wirst misshandelt?« Baschir wusste, dass es in Tora rau zuging, doch er war überrascht, dass es seinen Onkel traf. Ayman hatte zwar nicht die richtigen politischen Kontakte, aber Geld. Und er war kein Terrorist. Er glaubte an eine friedliche Ablösung der Regierung durch Wahlen.
»Die Wärter haben Angst«, erklärte Ayman. »Angst vor ihren Herren und Meistern, Angst, dass sie selbst hier landen, wenn sie uns wie Menschen und nicht wie Tiere behandeln.« Er warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass der Wärter nicht vor der Tür herumlungerte. Dann beugte er sich vor. »Du musst mir etwas versprechen.«
»Natürlich.«
»Falls ich nicht mehr nach Hause komme, darfst du nicht vergessen, was ich dir gesagt habe. Über Mubarak und die Amerikaner. Die Amerikaner stecken hinter all dem.«
»Falls du nicht mehr nach Hause kommst? Was soll das heißen?« Baschir konnte nur hoffen, dass ihm seine Panik nicht anzuhören war. Auch wenn er Ayman »Onkel« nannte, war er mehr wie ein Vater für ihn.
»Mir wird schon nichts passieren. Nur für alle Fälle.«
»In Ordnung. Ich verspreche es.«
»Gut. Und jetzt erzähl mir von deiner Tante.«
»Sie vermisst dich furchtbar.« Baschir begann, ihm von Noor zu erzählen, aber nach ein paar Minuten tauchte der Wärter wieder auf.
»Die Zeit ist um.«
Baschir konnte sich nicht beherrschen. »Die Zeit ist
um? Wir sollten doch eine Stunde bekommen! Das waren keine fünf Minuten!«
»Die Zeit ist um.«
»Sie können nicht … Ich lasse nicht …«
»Widersprich nicht«, zischte Ayman ihm zu. »Damit machst du es nur noch schlimmer.«
Der Wärter zerrte Ayman auf die Beine, während Baschir in seiner Tasche nach dem Tablettengläschen suchte, das er mitgebracht hatte. »Hier, Onkel«, sagte er. Er wollte Ayman das Gläschen in die Brusttasche des T-Shirts stecken, aber der Wärter - den Namen sollte Baschir nie herausfinden - kam ihm zuvor.
»Was ist das?«
»Ein Medikament«, erwiderte Ayman. »Für mein Herz …«
»Das ist illegale Schmuggelware«,
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