Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
stehen.«
»Und wo finde ich sie?«, fragte Jonathan.
Cassius seufzte. »Früher einmal konntest du sie überall finden, in allen Wäldern dieser Welt. Aber jetzt … Es muss viele Jahre her sein, dass ich einen gesehen habe.«
»Cassius, das kann nicht sein!«, widersprach Cornelius. »Als wir Kinder waren …«
»Das ist lange her, Cornelius. Viel ist passiert seit dieser Zeit.«
Cornelius nickte traurig. »Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm um uns steht.«
»Vielleicht könnten wir das gläserne Messer befragen, wo wir sie finden«, schlug Jonathan vor. Als beide Männer ihn ansahen, fügte er leise hinzu: »Ich hab es zufällig … gefunden.«
»Dein Sohn verblüfft mich immer wieder, Cornelius«, sagte Cassius. »Dafür, dass er eigentlich nichts von diesen Dingen wissen dürfte, weiß er eine ganze Menge.« Er wandte sich ernst an Jonathan. »Leider ist das gläserne Messer nutzlos. Die Chimerianer lassen sich nicht durch einen Trick aufspüren. Sie selbst entscheiden, wer ihnen begegnen darf und wer nicht.«
»Dann ist der ganze Plan sinnlos«, sagte Jonathan.
»Nicht so schnell die Flinte ins Korn werfen! Cornelius hat recht: Als wir noch Kinder waren, sind wir den Chimerianern mehrere Male begegnet. Es gab da diesen Ort, an dem wir manche Sommernacht unter freiem Himmel verbracht haben.«
»Der See im Wald!« Ein Leuchten tauchte in Cornelius’ Augen auf, das aber sogleich wieder erlosch. »Cassius, der liegt weit außerhalb des Dorfes. Kaum zu erreichen, vor allem nicht bei dieser Kälte.«
»Es gibt kein falsches Wetter, nur falsche Kleidung, und dieses Problem lässt sich lösen.« Cassius zog eine Karte hervor, auf der Bärenfels und die umliegenden Hügel zu sehen waren. Er deutete auf einen Platz im Wald, der nach Jonathans Schätzung einige Stunden Fußmarsch südlich des Dorfes entfernt lag. »Hier ist der Ort, an dem ich zuletzt einige Chimerianer gesehen habe. Nicht schwer zu finden. Wende dich von der Burg aus nach Norden, und du kommst an einen Bach, der in den Wald führt. Folge ihm, und du wirst eine Lichtung mit einem See finden. Dort ist eine Quelle, die den Bach speist. Das Wasser entspringt aus einem Felsen und fließt von dort in den See.«
»Die Chimerianer schätzen diese Orte«, erklärte Cornelius. »Quellen, Buchten, tiefe Wälder und Berge. Dort leben sie.«
»Und niemand weiß von ihnen?«, fragte Jonathan ungläubig.
»Nein, weil sie nicht mehr so dumm sind, sich von uns Menschen erwischen zu lassen. Du kannst sie sehen – aber nur, wenn sie es dir gestatten.«
Jonathan versuchte, sich jedes Detail der Karte genau einzuprägen. »Jetzt müsst ihr mir nur noch erklären, wie diese Wesen aussehen.«
Cornelius lächelte. »Du wirst sie erkennen, wenn du sie erst mal siehst.«
Jonathan verdrehte die Augen. In den letzten Tagen hatte er eine Allergie auf geheimnisvolle Anspielungen entwickelt, doch er verbiss sich die ätzende Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag.
»Na gut. Und was soll ich tun, wenn ich dort bin?«
»Ruf sie«, antwortete Cassius schlicht. »Zeig ihnen das Herz des Lazarus. Wenn sie da sind, werden sie dich hören. Und wenn sie dir vertrauen, werden sie sich dir auch zeigen.«
»Und was, wenn niemand antwortet? Ihr habt doch selbst gesagt, dass es möglich ist, dass sie den Ort längst verlassen haben.«
Cassius wirkte müde. »Dann sind wir verloren. Das ist unsere einzige Hoffnung, Jonathan.«
Cornelius packte ihn bei den Schultern. »Wenn du niemanden dort findest, dann versteck das Herz irgendwo im Wald, und lauf so schnell und so weit weg, wie du kannst! Geh zu Freunden oder Bekannten, wo ich dich finden kann. Was immer du auch tust, auf keinen Fall darfst du zu uns zurückkehren! Riot und sein Meister werden dich finden. Und dann …«
Die letzten Worte gingen in einem schrillen Pfiff unter, der alle zusammenzucken ließ. Das Teewasser kochte, Dampf schoss durch das Ventil der Kanne.
Fluchend nahm Cassius sie vom Ofen. »Himmel, ich bekomme noch einen Herzinfarkt von dem verdammten Ding!«
Cornelius war froh, dass ihm eine Gelegenheit geboten wurde, das Thema zu wechseln. »Wenn das Tee wird, hätte ich gern einen.«
»Kein gewöhnlicher Tee, Cornelius. Ich gebe noch eine kleine Extrazutat hinzu.«
Cassius warf das Herz des Lazarus in die Kanne.
Cornelius nickte anerkennend. »Gelegentlich hast du für einen verrückten Einsiedler richtig gute Ideen.«
Cassius brummte. »Du bist ganz schön frech für dein Alter, kleiner
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