Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
entscheiden, sagt mein Onkel. Außerdem ist jeder, der ihn besitzt, in großer Gefahr, denn der Weltenwanderer wird ihn jagen, bis der Stein in seinem Besitz ist.«
Eliane hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Beschämt fegte sie mit ihrem Ärmel eine Träne von der Wange und gab Jonathan das Herz zurück. Er fragte nicht, warum sie weinte. Sie würde es ihm schon erzählen, wenn sie bereit dafür war.
Mit neuer Kraft, aber in Gedanken versunken setzten sie ihren Weg fort. Sie hatten den See umrundet und waren zum Ausgangspunkt des Wasserfalls zurückgekehrt. Jonathan blickte hinauf in den Sternenhimmel, als ob er dort eine Antwort auf seine Fragen finden konnte. Ein leises Klappern ließ ihn hellhörig werden. Er bemerkte, dass es Elianes Zähne waren.
»Ist dir kalt?«, fragte er.
Sie zog eine Grimasse. »Nur weil ich mit Jungs abhänge, heißt das nicht, dass ich einer bin. Mädchen frieren nun mal.«
Jonathan zog seine Jacke aus und legte sie ihr über die Schultern. »Ich mache uns ein Feuer.«
»Tolle Idee. Die Rauchsäule kann man bestimmt kilometerweit sehen.«
»Ob du’s glaubst oder nicht, ich weiß, wie man richtig Feuer macht. Wir brauchen nur trockenes Holz.«
Zweifelnd hob Eliane die Brauen. »Was ist mit dieser seltsamen Alten mit den langen Fingernägeln? Sie hat uns schon einmal gefunden.«
»Ja, vielleicht ist sie schon auf dem Weg hierher.« Er seufzte. »Dir ist kalt, ich bin müde … und außerdem weiß ich ohnehin nicht mehr, wohin ich noch gehen soll. Ins Dorf zurück kann ich nicht, und wenn wir uns weiter in den Wald hineinwagen, riskieren wir nur, uns zu verlaufen.«
Die Wahrheit, die er Eliane nicht sagen konnte, war eine andere. Sein Plan war schiefgegangen, und mit ihm war die Hoffnung verloren, seinen Eltern helfen zu können. Er wollte nicht mehr davonlaufen. Er konnte es nicht mehr. Eliane schien es ähnlich zu gehen, denn sie leistete keinen Widerstand und begann, trockene Zweige zu sammeln. Jonathan half ihr, auch wenn jeder Handgriff zu einem Willensakt wurde. Am liebsten hätte er sich unter einer Decke verkrochen und sich in die Arme des Schlafes gerettet, um alles zu vergessen und von der Vergangenheit zu träumen, in der er ein einfacher Junge gewesen war, der die wilden Geschichten nur in seinen Büchern erlebte.
Wie weit weg diese Zeit doch plötzlich war.
Er schichtete das Holz auf – Reisig zuerst, dann die größeren Äste – und entfachte ein Lagerfeuer am Eingang einer Höhle, die durch Buschwerk und Felsgestein passabel geschützt war. Funken stoben zum Himmel empor und verglühten dort. In ihren Armen und Beinen steckte noch immer die Kälte des falschen Winters, und es tat gut, die Wärme des Feuers zu spüren. Jonathan holte ein wenig Brot aus dem Rucksack und teilte es auf. Eliane aß schweigend. Die Stille wurde bedrückend, sodass er beschloss, ein Thema anzusprechen, dass ihn seit ihrer ersten Begegnung beschäftigte.
»Du magst ihn, oder? Emir, meine ich.«
Mit einem Stock stocherte Eliane im Feuer herum. »Sein richtiger Name ist Andreas.«
»Und warum nennt er sich dann Emir?«
»Ach, das ist so eine alte Geschichte. Sein Vater glaubt, dass er ein direkter Nachfahre der Fürsten von Bärenfels ist. Das hat er mal erzählt, als er zu viel getrunken hatte. Seitdem machen sich die Leute einen Spaß daraus, ihn zu verspotten. ›Sieh mal, der Fürst von Bärenfels holt unseren Müll ab!‹, sagen sie. Oder: ›Sieh mal, da ist der Emir von Bärenfels, der kehrt die Straße.‹«
»Emirs Vater ist Müllmann?«
»Eigentlich ist er hier im Dorf das Mädchen für alles. Besonders schlau ist er nicht, er kann nicht mal richtig lesen. Er ist eben anders. Aber hier darf man nicht anders sein. Die Leute hier sagen dir, was du anziehen sollst, was du gut finden darfst und was nicht, wie du deine Haare schneiden musst, wann du selbstständig denken darfst und wann du gehorchen musst. Und wenn du es wagst, es anders zu machen, dann reden sie hinter deinem Rücken über dich. Sie lachen über dich und meiden dich, wenn du ihnen auf der Straße begegnest.« Die Zornesröte schoss ihr ins Gesicht. »Bärenfels ist hübsch von außen, aber wehe, du tanzt aus der Reihe, dann lernst du ein ganz anderes Gesicht kennen. Als meine Mutter gestorben ist und mein Vater den Hof alleine führen musste, haben sich alle das Maul zerrissen.«
Jonathan sah sie überrascht an. Das also war der Grund ihrer Tränen.
»Sie sagten,
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