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Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Titel: Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ahner
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dass aus mir doch nichts werden könnte. ›Das Mädchen braucht eine Mutter!‹ Immer haben sie mich mit diesem mitleidigen Blick angesehen, als hätte ich die Pest oder so was. Irgendwann hab ich mir die Haare abgeschnitten wie ein Junge, um ihnen zu zeigen, dass ich nie zu ihnen gehören werde und dass sie mich mal können. Dann bin ich Mitglied der Blutsbande geworden.«
    »Damit du es den anderen heimzahlen kannst? Mir zum Beispiel?«
    Sie wich ihm aus. »Das mit deinem Rad tut mir leid. Manchmal spinnt Andreas. Dann will er vor der ganzen Welt zeigen, dass er der Stärkste ist, dass er sich nie so behandeln lassen wird wie sein Vater.«
    Schwang da Bewunderung in ihrer Stimme mit? Eliane war zu einer Vertrauten geworden, einer Freundin. Dass sie Emir verteidigte, ihn sogar mochte, versetzte Jonathan einen schmerzhaften Stich.
    »Wie ist sie so, deine Mutter?«, fragte Eliane in die knisternde Stille des Feuers hinein. Mit ihren großen dunklen Augen blickte sie ihn an. Jonathan war zugleich überrascht und froh über den abrupten Themenwechsel. Er rief sich das Bild seiner Mutter ins Gedächtnis, und dieses Mal tat es nicht weh.
    »Sie hat lange rote Locken, auf die sie wahnsinnig stolz ist. Sie liebt Bücher noch mehr als ich, und als ich ganz klein war, hat sie mir jeden Abend die verrücktesten Geschichten vorgelesen, obwohl mein Vater das nicht gut fand. Er wollte nicht, dass ich auf dumme Ideen komme. Wahrscheinlich, weil er Angst hatte, dass ich eines Tages in seine Fußstapfen trete. Mama ist ganz anders als er. Die beiden haben sich kennengelernt, als sie noch Studenten waren. Neben ihm sieht sie aus wie junges Mädchen, und manchmal behandeln sie die Leute auch so, besonders im Krankenhaus, wo sie arbeitet. Da wird sie immer wütend und schimpft, dass die Menschen nur auf das Äußere achten.«
    »Sie ist Ärztin?« Das imponierte Eliane, und endlich grinste sie wieder. »Wie heißt sie?«
    »Helena. Und deine Mutter?«
    »Elisabeth. Alle im Dorf haben sie Lissy genannt. Bevor sie meinen Vater kennengelernt hat, ist sie mit ihrem Rucksack durch den Westen der USA gereist. Sie hat sogar mal in einem Indianer-Reservat gelebt. Sie war die mutigste Frau, die ich je gekannt habe. Nach der Hochzeit ist sie wegen meinem Vater hierher nach Bärenfels gezogen. Sie mochte das Dorf und die Arbeit auf dem Hof, aber ich glaube, insgeheim hat sie immer davon geträumt, irgendwann wieder auf Reisen zu gehen.«
    Auf leisen Sohlen hatte sich die Traurigkeit in ihre Herzen geschlichen, und obwohl sie es nicht aussprachen, wussten beide, dass sie etwas teilten, das nur wenige Menschen verstanden.
    »Du vermisst sie sehr, nicht wahr?«, fragte Jonathan.
    Eliane hatte ihre Arme um die Beine geschlungen und blickte hinauf zu den Sternen, die plötzlich ganz nah waren, so nah, dass man nur die Hand ausstrecken musste, um sie zu berühren. Selbst wenn sie unerreichbar weit weg waren. So wie ihre Mutter.
    »Ich auch«, sagte Jonathan leise und nährte das Feuer mit einem großen Ast. »Ich wünschte, ich wüsste, wo sie ist. Und ob es ihr gut geht.«
    »Bestimmt geht es ihr gut.«
    Ihr Lächeln war so ehrlich und voller Hoffnung, dass er gar nicht anders konnte, als neuen Mut zu finden.
    »Danke, dass du mitgekommen bist«, sagte er.
    »Euch Stadtmenschen darf man nicht allein in den Wald lassen, ihr verlauft euch sonst nur. Obwohl ich zugeben muss, dass du ein tolles Feuer machen kannst.«
    »Dann ist dir nicht mehr kalt?«
    »Doch, kalt ist mir schon noch. Das verschwindet nicht so schnell. Immerhin haben wir diesen August Winter.«
    Sie grinste schief. Vorsichtig rückte Jonathan näher an sie heran und legte ihr einen Pullover über die Schulter. Sie ließ es geschehen und bettete schließlich ihren Kopf an seine Schulter. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie müde sie beide waren. Die Anstrengungen der Flucht und der Schlafmangel forderten ihren Tribut, trotz des heilenden Wassers. Egal, er wollte jetzt nirgendwo anders sein. Sie wärmten einander und gaben sich Halt, den nicht einmal Riot mit all seiner fürchterlichen Macht zerstören konnte.
    Eliane zog etwas aus ihrer Tasche hervor: eine Kette aus Muscheln, an der eine Flöte baumelte, so klein wie ihre Hand. Ihr hölzerner Körper mündete in einem Mundstück aus Elfenbein, das die Form eines Büffelkopfes hatte.
    »Diese Flöte stammt von den Pawnee. Das ist ein alter Indianerstamm aus Nebraska. Kennst du das? Nebraska, meine ich?«
    Jonathan schüttelte den

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