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Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Titel: Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ahner
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erstickten Schrei stolperte Jonathan vor der Gestalt zurück und fiel. Der Weltenwanderer, ein Wesen aus weißem Porzellan, eine kalte, seelenlose Hülle, die mit pupillenlosen Augen auf ihn herabstarrte, hielt seinen Spazierstock fest und setzte einen Fuß über die Schwelle der Tür. Zum ersten Mal meinte Jonathan so etwas wie Befriedigung in seinem Gesicht lesen zu können.
    »Danke, dass du mich hereingelassen hast, mein Junge«, sagte er und verzog sein schneeweißes Gesicht zu einem maschinenhaften Lächeln, das kalt und bedrohlich war. Er streckte seine Hand aus. »Darf ich dir auf die Beine helfen?«
    * * *
    Jonathan zuckte hoch, sah sich um. Schweiß klebte ihm an der Stirn, und der Albtraum folgte ihm ins Erwachen, bis er ihn abschüttelte. Es war noch dunkel. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er kaum drei Stunden geschlafen hatte. Riots Stimme hatte ihn geweckt. Er sprang auf und blickte aus dem Fenster. Dort unten im alten Schulhof hatten sich drei-, vier-, ja vielleicht sogar fünfhundert Männer versammelt und lauschten seiner Rede. An seiner Seite wartete Aurora wie eine Botin des Bösen. Ihre bloße Präsenz ließ Jonathan frieren.
    »Ich kenne viele von euch!«, rief Riot seinen Männern zu. »Mit einigen habe ich Seite an Seite gekämpft, andere haben mir lange Jahre gedient, manche sind neu hier. Sie sind meinem Versprechen gefolgt, reich entlohnt zu werden. Denjenigen unter euch, die mich noch nicht kennen, sei gesagt, dass ich meine Versprechen zu halten pflege. Ist es nicht so?«
    Jubel brandete auf. Einige schossen begeistert in die Luft. Riot genoss seinen Auftritt mit ausgebreiteten Armen und einem hämischen Lächeln im Gesicht.
    »Viele von euch haben mich gefragt, was der Große Kreis ist, der Feind, gegen den wir kämpfen. Lasst euch dies zur Antwort geben: Der Große Kreis will die Kontrolle über diese Welt, Kontrolle über alle Menschen. Er will uns die Freiheit nehmen, selbst zu bestimmen, wohin wir gehen und was wir tun. Doch er spielt nicht mit offenen Karten, nein, er agiert im Verborgenen, er kämpft mit unfairen Methoden, bedient sich Gaukeleien und Taschenspielertricks. Lasst euch nicht täuschen, habt keine Angst vor dem, was ihr sehen werdet! Nichts als Blendwerk und Sinnestäuschung, die Waffen erbärmlicher Feiglinge.«
    Die Männer machten ihrem Unmut durch lautes Gebrüll Luft. Riot lachte, als er bemerkte, auf welch fruchtbaren Boden seine Worte fielen.
    »Seit Jahrhunderten bestimmt der Große Kreis über unser aller Schicksal, doch schon bald werden wir diesem Treiben ein Ende bereiten. Im Morgengrauen werden wir seine Schätze unter uns aufteilen! Dann wird diese Welt frei sein!«
    Ein eiskalter Schauer lief Jonathan über den Rücken, als der Chor des Triumphgeschreis den Platz erbeben ließ. Eliane wurde wach und stellte sich neben ihn ans Fenster.
    Auf Riots Zeichen setzten die Truppen sich in Bewegung und marschierten im Laufschritt nach Osten, auf die Wälder zu, in denen das Haus am Ende der Straße verborgen lag. Wenn sie dieses Tempo halten konnten, waren sie in spätestens einer Stunde am Ziel, vermutete Jonathan.
    »Wir müssen irgendetwas tun …«, flüsterte Eliane. »Wir können doch nicht einfach hier herumsitzen.«
    Sie hatte recht. Die Situation mochte ausweglos sein, aber solange sie atmeten, gab es Hoffnung.
    »Wie wäre es, wenn wir durch das Fenster fliehen?«, fragte Jonathan.
    Neugierig hob sie die Brauen. »Ohne dir alle Knochen zu brechen? Da bin ich aber wirklich gespannt, wie du das anstellen willst.«
    Er schlug mit der Faust gegen die Tür. Vor der Kammer saßen zwei Männer und spielten Karten.
    »Ich wollte nur auf Wiedersehen sagen. Wir werden jetzt nämlich aus dem Fenster klettern!«, rief Jonathan.
    Die Männer tauschten ein Grinsen und tippten sich mit dem Finger auf die Stirn.
    »Na, dann wünsche ich guten Flug«, höhnte der Große.
    Er wollte weiterspielen, als er das Geräusch des sich öffnenden Fensters hörte.
    »Verdammte Kinder, drehen total durch …«, lachte er – und erstarrte. Seinem Gegenüber schoss derselbe Gedanke durch den Kopf.
    »Und wenn sie wirklich klettern?«
    »Die werden sich noch den Hals brechen … Riot will die Hosenscheißer um jeden Preis lebend.«
    »Ich sehe besser mal nach!«
    Der Große ging zur Tür und warf einen Blick durchs Schlüsselloch. Soweit er sehen konnte, war die Kammer leer, und das Fenster stand weit offen. Fluchend kramte er seinen Schlüsselbund hervor. Er konnte nicht

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