Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Großen Kreis nicht besiegen!«
»So überzeugt bist du davon? Ihr lernt doch Mathematik in der Schule, nicht wahr? Dann gebe ich dir eine Rechenaufgabe, kleiner Mann: Meine Spione berichten mir von sechzig Kämpfern des Großen Kreises, die meisten von ihnen unbewaffnet, gewöhnliche Sterbliche wie dein alter Herr, gebunden an einen lächerlichen Kodex, der es ihnen verbietet, tödliche Waffen zu benutzen. Auf meiner Seite stehen bereits jetzt drei Hundertschaften, kampferprobt und bis an die Zähne bewaffnet. Was glaubst du wohl, wie wird diese Rechnung aufgehen?«
Jonathan tauschte einen entsetzten Blick mit Eliane und musste Tränen der Wut unterdrücken. Er wand sich in den eisernen Griffen der Männer.
»Dafür wirst du büßen, Riot …«
Riot riss ihn zu sich heran, sodass er seinen fauligen Atem riechen konnte. Selbst in der Dunkelheit glitzerten seine Goldzähne, als er grinste.
»Hast du wirklich geglaubt, dass die Taten eines einfachen Jungen so entscheidend wären? Wach auf, kleiner Mann! Du hast nichts erreicht, und du wirst immer der schwache kleine Bursche sein, der sich hinter seinen Büchern versteckt, weil er Angst vor dem richtigen Leben hat, genau wie dein Vater.« Er ließ die Worte wirken, bis er mit kalter Stimme weitersprach: »Ihr beide werdet mir Köder und Pfand zugleich sein. Der verrückte alte Cassius wird es nicht wagen, mir eine Falle zu stellen, solange er weiß, dass ihr in meiner Gewalt seid.«
Er entriss Jonathan den Rucksack und gab den Befehl, sämtliche Jackentaschen der Kinder gründlich zu durchsuchen, um vor weiteren bösen Überraschungen gefeit zu sein. Seine Männer stellten alles sicher, inklusive Cassius’ Wunderwaffen. Von Verzweiflung und Wut gepackt, begehrte Jonathan noch einmal auf.
»Mein Vater glaubt, dass du Mut hast, aber er hat unrecht. Du bist ein Feigling!«
Riot würdigte diese Beleidigung keiner Antwort. Eine schreckliche Kälte breitete sich aus, die bis in ihre Herzen drang. Schon fiel Schnee vom Himmel und senkte sich sanft auf den See. Das Feuer erlosch, erstickt von eisigem Wind. Jonathan und Eliane wurden in den Laderaum eines klapprigen Transporters geworfen, den die Männer aus dem Dorf mitgenommen hatten. Sie schlugen die Türen zu und verriegelten sie. Es gab kein Entkommen.
»Sammelt euch. Wir ziehen gemeinsam ins Gefecht. Ruhm und Reichtum erwarten euch«, brüllte Riot, und seine Männer folgten ihm mit Triumphgeheul.
Zwanzigstes Kapitel
Lichter im Dunkel
Im Laderaum herrschte Finsternis. Jonathan und Eliane klammerten sich an den Wandverstrebungen fest, während der Transporter über Wurzelwerk und Schlaglöcher schaukelte. Trotz des dröhnenden Motorlärms hörten sie immer wieder Gelächter und Jubelschreie von Riots Männern, die den Wagen auf seinem Weg zurück ins Dorf begleiteten. Sie hatten gewonnen, bevor die Schlacht geschlagen war, und sie wussten es.
Schlimmer als das Gefängnis aus Stahl empfand Jonathan die Last der Schuld, die er sich aufgebürdet hatte. Wie konnte er nur so naiv gewesen sein, zu glauben, dass seine Taten ein Gewicht in der Waagschale des Schicksals waren? Er war nur ein Junge, der keine Ahnung hatte von der Welt, geschweige denn von den geheimnisvollen Intrigen, die um ihn herum geschmiedet wurden. Er war zu jung und zu schwach, um wirklich etwas verändern zu können. Seine Eltern hatten gut daran getan, ihm das Geheimnis ihrer wahren Identität zu verheimlichen, das begriff er jetzt. Er hatte geglaubt, alles besser zu wissen, und jetzt mussten andere den Preis für seine Dummheit bezahlen.
Der Transporter verließ den Wald. Schnee knirschte unter den Reifen, als er in eine asphaltierte Straße bog und Fahrt aufnahm. Wenig später hatte er das Dorfzentrum erreicht und hielt an. Eliane suchte Jonathans Hand und berührte sie flüchtig, als ob sie ihm signalisieren wollte, dass es immer noch Hoffnung gab. Die Verriegelung wurde gelöst. Knirschend flogen die Türen auf, und zwei Männer packten die beiden, um sie in ein Haus zu schleppen, das inmitten eines verwilderten Grundstückes am Ortsrand lag.
»Die alte Schule«, flüsterte Eliane.
»Ruhe!«, fuhr einer der Männer sie an.
Jonathan hob den Kopf und schaute auf das Gebäude mit dem windschiefen Dach, das sich groß und dunkel vor ihnen erhob. Dort, wo sich früher einmal die Klassenzimmer befunden hatten, lagerten heute kaputte Möbel, Bücher und Spinnweben. Das Haus diente Riots Schergen als Unterkunft. In einem Raum sah Jonathan
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