Jonathan Strange & Mr. Norrell
genauso offen zu Ihnen sein, Mr. Strange. Meine Aufgaben sind wirklich ganz einfach. Ich besuche die Kranken und die Verwundeten. Ich lese die Messe für die Soldaten und versuche, ihnen ein anständiges Begräbnis zu geben, wenn sie fallen, die armen Kerle. Ich wüsste nicht, wie Sie mir helfen könnten.«
»Keiner weiß das«, sagte Strange und seufzte. »Aber bitte kommen Sie doch mit zum Essen. Dann muss ich heute Abend zumindest nicht allein essen.«
Darauf konnten sie sich schnell einigen, und die beiden Männer ließen sich im Speisezimmer des Hotels nieder. Strange fand, dass Mr. Briscall ein angenehmer Tischgenosse war, der mit Freude all sein Wissen über Lord Wellington und die Armee preisgab.
»Soldaten sind im Allgemeinen nicht besonders religiös«, sagte er, »aber davon bin ich auch nie ausgegangen. Der Umstand, dass sämtliche Kapläne vor mir ziemlich schnell wieder verschwanden, kurz nachdem sie angekommen waren, ist mir eine große Hilfe. Ich bin der Erste, der bleibt – und dafür sind die Männer dankbar. Sie freuen sich über jeden, der bereit ist, das harte Leben mit ihnen zu teilen.«
Strange sagte, das glaube er gern.
»Und was ist mit Ihnen, Mr. Strange? Wie kommen Sie zurecht?«
»Ich? Ich komme überhaupt nicht zurecht. Niemand hier will mich. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn überhaupt jemand mit mir redet, werde ich ziemlich willkürlich entweder als Mr. Strange oder als Mr. Norrell angesprochen. Keiner scheint auch nur die geringste Ahnung zu haben, dass es sich hierbei um zwei verschiedene Personen handelt.«
Briscall lachte.
»Und Lord Wellington weist alle meine Hilfsangebote umgehend zurück.«
»Warum? Was haben Sie ihm angeboten?«
Strange erzählte von seinem ersten Vorschlag, vom Himmel eine Froschplage auf die Franzosen niederregnen zu lassen.
»Nun, das überrascht mich wirklich nicht!«, sagte Briscall geringschätzig. »Die Franzosen kochen Frösche und essen sie auf, nicht wahr? Ein wesentlicher Teil in Lord Wellingtons Plan ist es, die Franzosen auszuhungern. Sie hätten genauso gut anbieten können, Brathühnchen auf ihre Köpfe fallen zu lassen oder Schweinefleischpasteten!«
»Dafür kann ich nichts«, sagte Strange etwas gekränkt. »Ich würde Lord Wellingtons Pläne sehr gern berücksichtigen – wenn ich sie nur kennen würde. In London erklärte uns die Admiralität ihre Vorhaben, und wir haben unseren Zauber dementsprechend ausgerichtet.«
»Verstehe«, sagte Mr. Briscall. »Ich bitte um Verzeihung, Mr. Strange – vielleicht habe ich es nicht ganz verstanden –, aber es scheint mir, als hätten Sie hier einen großen Vorteil. In London mussten Sie sich darauf verlassen, was die Admiralität über ein Hunderte von Meilen entferntes Geschehen von sich gab – und vermutlich hat sich die Admiralität häufig getäuscht. Hier können Sie die Dinge mit eigenen Augen sehen. Ihre Erfahrung unterscheidet sich nicht so sehr von meiner. Als ich hier ankam, nahm zunächst auch niemand die geringste Notiz von mir. Ich wechselte von einem Regiment zum nächsten. Keiner wollte mich.«
»Und trotzdem gehören Sie nun zu Wellingtons Stab. Wie haben Sie das angestellt?«
»Es hat ein wenig gedauert, doch am Ende gelang es mir, Seine Lordschaft von meinem Wert zu überzeugen – und ich bin sicher, dass es auch Ihnen gelingen wird.«
Strange seufzte. »Ich versuche es. Aber ich scheine nur zu beweisen, wie überflüssig ich bin. Immer wieder!«
»Unsinn! Soweit ich es überblicken kann, haben Sie nur einen Fehler begangen – Sie sind hier in Lissabon geblieben. Wenn Sie meinen Rat wollen, dann sollten Sie so bald wie möglich abreisen.
Gehen Sie in die Berge und schlafen Sie dort bei den Männern und den Offizieren. Solange Sie das nicht tun, werden Sie sie nicht verstehen. Reden Sie mit ihnen. Verbringen Sie die Tage mit ihnen in den verlassenen Dörfern jenseits der Linien. Dafür werden sie Sie bald lieben. Sie sind die besten Kerle der Welt.«
»Wirklich? In London sagt man, Lord Wellington habe sie den Abschaum der Erde genannt.«
Briscall lachte, als handele es sich bei der Bezeichnung »Abschaum der Erde« um eine ganz unbedeutende Indiskretion, die eigentlich einen Großteil des Charmes der Armee ausmache. Für einen Mann der Kirche war dies, so dachte sich Strange, eine eigenartige Haltung.
»Und was sind sie?«, fragte er.
»Sie sind beides, Mr. Strange. Sie sind beides. Nun, was meinen Sie? Werden Sie dorthin gehen?«
Strange runzelte die
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