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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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theoretischer Zauberei unterrichtet zu werden. Bald bat man ihn, den größeren Brüdern der jungen Damen Unterricht zu erteilen, von denen sich einige eine Zukunft als Zauberer ausmalten. Für lernbegierige junge Männer, die nicht den Wunsch verspürten, in der Kirche oder in der Jurisprudenz ihr Glück zu versuchen, war die Zauberei sehr vielversprechend, zumal Strange auf Europas Schlachtfeldern triumphiert hatte. Schließlich war es schon ein paar Jahrhunderte her, seit die Geistlichen sich auf Kriegsschauplätzen hervorgetan hatten, ganz zu schweigen von den Advokaten, die sich dort nie hatten blicken lassen.
    Im Frühherbst 1815 erhielt Mr. Segundus von dem Vater eines seiner Schüler einen Auftrag. Dieser Herr namens Palmer hatte von einem Haus im Norden der Region gehört, das zum Verkauf stand. Mr. Palmer hatte nicht den Wunsch, das Haus zu kaufen, aber ein Freund hatte ihm berichtet, dass die dazugehörige Bibliothek einen Blick wert war. Mr. Palmer konnte gerade keine Zeit erübrigen, um sich selbst dort hinzubegeben. Obwohl er seinen Dienstboten in vielen anderen Angelegenheiten vertraute, erstreckten sich ihre Talente nicht gerade auf die Wissenschaften, daher bat er Mr. Segundus, an seiner statt dorthin zu gehen und herauszufinden, um wie viele Bücher es sich handelte, in welcher Verfassung sie waren und ob es sich lohnte, sie zu erwerben.
    Starecross Hall war das bedeutendste Gebäude in einem Dorf, das ansonsten lediglich aus ein paar Steinkaten und Bauernhäusern bestand. Starecross selbst lag in einem völlig abgelegenen Winkel und war von braunen, öden Mooren umgeben. Hohe Bäume schützten das Gebäude vor Wind und Sturm, doch zugleich ließen sie es dunkel und ernst erscheinen. Das Dorf war mit baufälligen Steinmauern und baufälligen Steinscheunen versehen. Es war sehr still; man hatte das Gefühl, am Ende der Welt zu sein.
    Es gab eine sehr alte, verwitterte Brücke für Packtiere, die einen tiefen Bach mit schneller Strömung überspannte. Hellgelbe Blätter trieben rasch auf dem dunklen, fast schwarzen Wasser und bildeten im Vorbeifließen Muster. Mr. Segundus kamen diese Muster ein wenig wie Zauberschriften vor. Allerdings, dachte er, ist das bei vielen Mustern der Fall.
    Bei dem Haus handelte es sich um ein langes, niedriges zerfallendes Gebäude, das aus demselben schwarzen Stein wie der Rest des Dorfes gebaut war. Seine ungepflegten Gärten, Vorplätze und Innenhöfe lagen unter dicken Schichten Herbstlaub begraben. Es war schwer, sich vorzustellen, wer ein solches Haus kaufen wollte. Es war viel zu groß für ein Bauernhaus, für ein Herrenhaus aber zu düster und zu abgelegen. Als Pfarrhaus hätte es dienen können, doch ihm fehlte eine Kirche. Als Gasthaus hätte es dienen können, doch die alte Straße, die einst durch das Dorf führte, war nicht mehr benutzbar, und die Brücke war alles, was von ihr übrig war.
    Auf Mr. Segundus' Klopfen kam niemand. Er stellte fest, dass die Tür nur angelehnt war. Es kam ihm ziemlich unverschämt vor, einfach einzutreten, doch nach vier- oder fünfminütigem ergebnislosem Klopfen tat er es.
    Wie Menschen neigen Häuser dazu, ziemlich exzentrisch zu werden, wenn man sie zu lange allein lässt; dieses Haus war die architektonische Entsprechung eines alten Herrn in einem abgetragenen Hausmantel und zerrissenen Pantoffeln, der zu den unmöglichsten Tageszeiten aufstand und sich wieder schlafen legte und sich fortwährend mit unsichtbaren Freunden unterhielt. Während Mr. Segundus auf der Suche nach irgendeinem Zuständigen herumwanderte, fand er einen Raum, in dem nur Käseformen aus Porzellan standen, die alle aufeinander gestapelt waren. Ein anderer Raum beherbergte haufenweise seltsame rote Kleidungsstücke, wie er sie noch nie vorher gesehen hatte – eine Mischung aus Arbeitskitteln und Priestertalaren. Die Küche verfügte über wenige der Gegenstände, die man gewöhnlich in Küchen findet, doch dafür beherbergte sie einen Alligatorschädel in einem Glaskasten; der Schädel grinste breit und schien sehr selbstzufrieden zu sein, obwohl Mr. Segundus nicht wusste, weshalb. Ein Raum konnte nur durch eine eigenartige Konstruktion aus Stufen und Treppen erreicht werden; sämtliche Bilder darin schienen von jemandem ausgewählt worden zu sein, der eine unmäßige Liebe für den Kampf verspürte; es gab Bilder mit kämpfenden Männern, kämpfenden Jungen, kämpfenden Hähnen, kämpfenden Stieren, kämpfenden Hunden, kämpfenden Zentauren und sogar

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