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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Gedichte kann er überall schreiben. Mein Fall liegt anders. Englische Zauberei wurde von England geprägt – so wie England von der Zauberei geprägt wurde. Die zwei gehören zusammen. Man kann sie nicht voneinander trennen.«
    »Sie meinen«, sagte Miss Greysteel und runzelte ein wenig die Stirn, »dass englisches Gedankengut und englische Geschichte und so weiter von Zauberei geprägt wurden. Sie sprechen metaphorisch.«
    »Nein, ich meinte es wortwörtlich. Diese Stadt zum Beispiel wurde auf die übliche Art erbaut...«
    »Oh!«, unterbrach ihn Dr. Greysteel und lachte. »Das klingt ganz nach einem Zauberer. Die leise Spur von Verachtung, wenn er von Dingen spricht, die auf die übliche Art gemacht werden.«
    »Ich denke nicht, dass ich respektlos sein wollte. Ich versichere Ihnen, ich hege die größte Achtung vor Dingen, die auf die übliche Art getan werden. Nein, ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Grenzen Englands, ja seine Gestalt, von Zauberei geprägt wurde.«
    Dr. Greysteel schnüffelte. »Da bin ich mir nicht sicher. Nennen Sie mir ein Beispiel.«
    »Nun gut. Es gab einmal eine hübsche kleine Stadt an der Küste von Yorkshire, deren Bewohner sich fragten, warum ihr König, John Uskglass, Steuern von ihnen erhob. Sie meinten, dass ein so großer Zauberer alles Gold, das er wollte, gewiss herbeizaubern könnte. Es schadet nicht, sich das zu fragen, aber diese dummen Leute beließen es nicht dabei. Sie weigerten sich zu zahlen und paktierten mit den Feinden des Königs. Ein Mann ist gut beraten, es sich gründlich zu überlegen, ob er mit einem Zauberer oder gar einem König Streit anfängt. Wenn diese Person beides ist, nun, dann vervielfachen sich die Gefahren hundertmal. Zuerst wehte ein Wind aus dem Norden durch die Stadt. Als der Wind über die Tiere der Stadt blies, wurden sie alt und starben – Kühe, Schweine, Geflügel, Schafe, sogar Katzen und Hunde. Als der Wind gegen die Häuser der Stadt wehte, verfielen sie vor den Augen der unglücklichen Bewohner zu Ruinen. Gerätschaften und Töpfe zerbrachen, Holz verzog sich und splitterte, Ziegel und Steine zerfielen zu Staub. Steinerne Statuen in der Kirche verwitterten, als wären sie uralt, bis jedes Gesicht, so hieß es, aussah, als schrie es. Der Wind peitschte das Meer zu seltsamen bedrohlichen Formen auf. Die Städter rannten klugerweise aus der Stadt und erreichten gerade noch rechtzeitig höher gelegenen Grund, um mit anzusehen, wie die Überreste ihrer Stadt langsam in den kalten grauen Wellen versanken.«
    Dr. Greysteel lächelte. »Wer auch immer regiert – ob Whigs, Tories, Kaiser oder Zauberer –, sie nehmen es sehr übel, wenn die Leute ihre Steuern nicht zahlen. Werden Sie diese Geschichten in Ihr nächstes Buch aufnehmen?«
    »Gewiss. Ich bin nicht einer dieser knausrigen Autoren, die ihre Worte bis zur letzten Viertelunze abwägen. Meine Vorstellungen sind wesentlich freizügiger. Jeder, der Mr. Murray eine Guinee zahlt, wird feststellen, dass ich die Tore zu meinem Lagerhaus weit aufgerissen habe und meine ganze Gelehrsamkeit feilbiete. Meine Leser können herumschlendern und in aller Ruhe wählen.«
    Miss Greysteel dachte eine Weile ernsthaft über die Geschichte nach. »Gewiss, er wurde provoziert«, sagte sie schließlich. »Dennoch war es der Akt eines Tyrannen.«
    Im Schatten näherten sich Schritte.
    »Was ist, Frank?«, fragte Dr. Greysteel.
    Frank, Dr. Greysteels Diener, trat aus der Düsternis.
    »Wir haben einen Brief und eine kleine Dose gefunden, Sir. Beides ist für Mr. Strange.« Frank wirkte besorgt.
    »Nun, steh nicht mit offenem Mund herum. Hier ist Mr. Strange, genau neben deinem Ellbogen. Gib ihm den Brief und die kleine Dose.«
    Franks Ausdruck und Haltung belegten, dass er erbittert mit einer großen Verwirrung rang. Seine finstere Miene legte nahe, dass er meinte, den Boden unter den Füßen verloren zu haben. Er machte einen letzten Versuch, seine Bestürzung zu erklären. »Wir haben den Brief und die kleine Dose auf dem Boden im Flur hinter der Tür gefunden, Sir, aber die Tür war verschlossen und verriegelt!«
    »Dann muss sie jemand aufgeschlossen und entriegelt haben, Frank. Setz keine Geheimnisse in die Welt«, sagte Dr. Greysteel.
    Frank überreichte Strange den Brief und die Dose und zog sich in die Dunkelheit zurück und fragte murrend die Stühle und Tische, gegen die er unterwegs stieß, ob sie ihn für einen Einfaltspinsel hielten.
    Tante Greysteel beugte sich vor und bat Strange

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