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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Abendstern auf. Plötzlich hörte er einen sonderbaren kratzenden Laut hinter sich und drehte sich um, um herauszufinden, wer ihn verursachte.
    In der dunkelsten Ecke des kleinen Platzes stand etwas – ein Ding, wie er es nie zuvor gesehen hatte. Es war schwarz – so schwarz, dass es aus der umgebenden Dunkelheit hätte bestehen können. Der Kopf oder die obere Hälfte hatte die Form einer altmodischen Sänfte, wie man sie gelegentlich in Bath sieht, mit einer vornehmen Witwe darin. Schwarze Vorhänge hingen vor den Fenstern. Die untere Hälfte verjüngte sich zum Körper und den Beinen eines großen schwarzen Vogels. Er trug einen großen schwarzen Hut und einen dünnen schwarzen Spazierstock. Er hatte keine Augen, und doch wusste Strange, dass er ihn ansah. Er kratzte mit einer schrecklich ruckhaften Bewegung mit der Spitze des Spazierstocks über die Pflastersteine.
    Er nahm an, dass er sich fürchten sollte. Er nahm an, dass er vielleicht zaubern und das Ding vertreiben sollte. Vertreibungszauber, Abweisungszauber, Schutzzauber gingen ihm durch den Kopf, aber es gelang ihm nicht, einen davon festzuhalten. Obschon das Ding nach Bosheit und Heimtücke stank, hatte er das starke Gefühl, dass es im Augenblick keine Gefahr für ihn oder die anderen darstellte. Es schien mehr ein Omen zukünftigen Unheils zu sein.
    Er begann sich gerade zu fragen, wie die Greysteels auf das plötzliche Auftauchen dieser Schreckensgestalt in ihrer Mitte reagieren würden, als etwas in seinem Gehirn verrückte; das Ding war nicht mehr da. An seiner statt stand da die stämmige Gestalt von Dr. Greysteel – Dr. Greysteel in schwarzen Kleidern, Dr. Greysteel mit einem Spazierstock in der Hand.
    »Nun?«, rief Dr. Greysteel.
    »Ich ... ich bitte vielmals um Entschuldigung«, erwiderte Strange. »Haben Sie etwas gesagt? Ich war in Gedanken bei... bei etwas anderem.«
    »Ich habe Sie gefragt, ob Sie heute mit uns zu Abend essen wollen?«
    Strange starrte ihn an.
    »Was ist? Sind Sie krank?«, fragte Dr. Greysteel. Er betrachtete Strange forschend, als würde er im Gesicht oder der Haltung des Zauberers etwas sehen, was ihm nicht gefiel.
    »Mir geht es hervorragend, ganz gewiss«, sagte Strange. »Und ich werde gern mit Ihnen speisen. Nichts wäre mir lieber. Allerdings habe ich Lord Byron versprochen, um vier Uhr mit ihm Billard zu spielen.«
    »Wir sollten uns nach einer Gondel für die Rückfahrt umsehen«, sagte Dr. Greysteel. »Ich glaube, Louisa ist müder, als sie sich eingesteht.« (Er meinte Tante Greysteel.) »Wo treffen Sie Seine Lordschaft? Wo soll der Gondoliere Sie absetzen?«
    »Vielen Dank«, sagte Strange, »aber ich werde zu Fuß gehen. Ihre Schwester hatte Recht. Ich brauche frische Luft und Bewegung.«
    Miss Greysteel war ein wenig enttäuscht, dass Strange nicht mit ihnen zurückkehrte. Die beiden Damen und Strange verabschiedeten sich langwierig voneinander und erinnerten sich gegenseitig mehrmals daran, dass sie sich in ein paar Stunden wiedersehen würden, bis Dr. Greysteel die Geduld mit ihnen verlor.
    Die Greysteels gingen in Richtung Rio davon. Strange folgte ihnen in einiger Entfernung. Entgegen seiner frohgemuten Beteuerungen gegenüber Dr. Greysteel fühlte er sich zutiefst erschüttert. Er versuchte, sich davon zu überzeugen, dass die Erscheinung nichts weiter als ein Spiel des Lichts gewesen sei, aber es gelang ihm nicht. Er musste sich eingestehen, dass sie vor allem von einer Rückkehr des Wahnsinns der alten Dame kündete.
    »Es ist wirklich überaus ärgerlich. Die Wirkungen der Tinktur schienen vollkommen abgeklungen. Nun, ich darf nichts mehr davon trinken. Wenn dieser Elf sich weigert, mir zu Diensten zu sein, werde ich einfach eine andere Möglichkeit finden und jemand anders herbeizitieren müssen.«
    Er trat aus der Gasse in das helle Licht des Rio , sah, dass die Greysteels eine Gondel gefunden hatten und jemand – ein Herr -Miss Greysteel beim Einsteigen behilflich war. Zuerst hielt er ihn für einen Fremden, aber dann bemerkte er das Haar, das schimmerte wie Distelwolle. Er eilte zu ihm.
    »Was für eine wunderschöne junge Frau!«, sagte der Herr, als die Gondel vom Kai ablegte. In seinen Augen funkelte und glitzerte es. »Und sie tanzt überaus anmutig, nehme ich an?«
    »Tanzt?«, sagte Strange. »Das weiß ich nicht. Wir sollten in Genua zusammen auf einen Ball gehen, aber sie hatte Zahnschmerzen, deswegen sind wir nicht hingegangen. Ich bin überrascht, Sie zu sehen. Ich hatte nicht damit

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