Jones, Diana Wynne
während der Nacht ruhig. Entchen gab ihm, ohne dass man ihn bitten musste, die Dame, und wir konnten mehrere Stunden lang gut schlafen.
Am nächsten Morgen setzten wir unsere Fahrt über den See fort. Als der Vormittag halb verstrichen war, stand der purpurne Landstrich genau in unserem Weg, und wir glaubten, das Ende des Sees sei in Sicht. Einen Durchlass für den Strom jedoch vermochten wir nicht zu entdecken. Hern sagte, er müsse irgendwo abfließen, denn die Strömung in der Mitte der Wasserfläche sei immer noch sehr stark. Wir kamen überein, gegen Mittag an einer geeigneten Stelle am hohen Purpurufer eine Essenspause einzulegen und dann nach dem Abfluss des Stromes zu suchen. Als das Land näher kam, holte Hern darum das Segel ein, denn wir beabsichtigten, zum felsigen Ufer hinüberzurudern. So leichtsinnig waren wir, obwohl wir den Strom gut kannten! Der See wirkte glatt und ruhig, und die Klippen vor uns waren so gewaltig, dass wir überhaupt nicht merkten, wie schnell wir fuhren, bevor wir das Segel eingeholt hatten. Dann aber mussten wir feststellen, dass wir keineswegs anhielten. Die Kisten, die Fässer und das Treibholz waren nach wie vor so schnell wie wir, und der Berg eilte uns sehr rasch entgegen.
»Wie schön!«, sagte Gull, der immer noch im Bootsboden lag. »Endlich geht es voran.«
»Ich könnte ihn verprügeln!«, rief Hern, der den Mund wie zu einem Grinsen verzogen hatte. »Ich könnte ihn wirklich verprügeln.« Er zog die Ruder wieder ins Boot, weil sie nichts ausrichteten, sah man davon ab, dass sie uns mal hierhin, mal dorthin drehten, und stürzte sich aufs Segel, um es erneut zu setzen.
»Lass das sein!«, schrien Robin und ich gleichzeitig. Der Wind hatte sich gelegt, da wir direkt unterhalb des Bergs fuhren, und das Boot neigte sich beängstigend auf die Seite. Hern wollte etwas erwidern, doch als er den Blick hob, sah er, dass wir mittlerweile genau auf eine riesige Klippe zurasten, und legte sich schützend den Arm über den Kopf.
Es schien unabwendbar, dass wir an dieser Klippe scheitern würden. Wenn man den Tod nahen sieht, denkt man plötzlich über sehr viele Dinge nach. Ich dachte: Das ist sehr schlimm, dass Gull immer weiter will, immer weiter! Schlimm, sehr schlimm! Und gleichzeitig wunderte ich mich, warum keine großen Wellen gegen den Felsen vor uns schlugen. Das Wasser war ganz glatt, es schoss glatt und rasch dahin, und am Rand waren nur ein paar gelbe Blasen zu sehen.
Und dann kam der Stoß. Ich dachte, mir flöge der Kopf von den Schultern. Die Strömung änderte ihre Richtung und riss das Boot ruckartig herum. Wir schossen an der Klippe vorbei in eine schmale Lücke, in der das Wasser tobte.
Das Rauschen war hier so laut wie in der Nacht, als das Hochwasser kam, und es hallte in einem fort von den Felswänden wider, die auf beiden Seiten so hoch waren, dass sie fast sämtliches Licht verdeckten. Der Himmel wirkte wie ein schmales blaues Band weit über uns. Als ich hochblickte, sah ich, dass große Bäume an den Wänden wuchsen, die so klein erschienen wie Büsche. Aber ich konnte meine Augen einfach nicht von dem Strom nehmen. Ich hätte nicht wie Hern handeln und das Schwert aus dem Wasser holen können, denn das tat er. Ich klammerte mich an der Bordwand fest und starrte nur in das schäumende Wasser. Es war auf engstem Raum eingesperrt und wurde von großen Felsen gefoltert, die es in dahinschnellende Wellen zerfetzten, als Fontänen ausstießen und zu glasigen Strudeln aufwirbelten. Unser rasendes Boot kreiselte und schüttelte sich und schoss mit dem Wasser hin und her. Waren wir im einen Moment noch in der Mitte, wo das Wasser im Tageslicht weiß erschien, so torkelten wir im nächsten Augenblick durch das schwarze Wasser am Rand der Schlucht. Tief unter der Schwärze sah ich Farne und Gräser an den Klippenwänden wachsen. Ich versuchte die Augen zu schließen – es ging so tief hinab – und starrte doch gegen meinen eigenen Willen immer weiter hin.
Ich glaubte, Schreie zu hören, doch ich schenkte ihnen keine Beachtung, bis etwas knapp vor dem Bug des Bootes ins Wasser donnerte. Das Boot schwenkte herum. Ich sah eine Fontäne wieder ins Wasser zurückstürzen und blickte auf. Oben, am Oberrand der Klippen, standen winzige Menschen, die sich schwarz gegen den Himmel abhoben, und eine schmale Brücke überspannte die Kluft. Sie war beschädigt; an beiden Enden war sie breiter als in der Mitte, wo man eine Lücke mit Brettern repariert hatte.
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