Jones, Diana Wynne
entgegenging. Zu ihrer großen Dankbarkeit begriff Moril, dass sie Hilfe benötigen würde, und sprang vom Wagen, um sie zu begleiten.
»Wer ist das?«, rief sie laut, um das Röhren des Wasserfalls zu übertönen.
»Luthan!«, brüllte Moril ihr ins Ohr. »Der Graf von Wassersturz. Noreths Vetter. In den letzten beiden Jahren war er ihr Dienstherr. Nick mir nicht zu! Lächle ihn an!«
Maewen dehnte ihren Mund zu einem Grinsen. Wenigstens, dachte sie, brauchen wir jetzt keinen Hinterhalt mehr zu fürchten.
Der Graf von Wassersturz eilte herbei und blieb keuchend und lächelnd vor ihr stehen. »Base!«, bellte er.
»Herr!«, kreischte Maewen zurück. Er war noch schrecklich jung. Auf den ersten Blick schien er ihr nicht älter zu sein als sie selbst. Als er sie aber lachend bei den Händen fasste, sah sie, dass er doch wenigstens achtzehn Jahre zählen musste. Er gehörte zu den Menschen mit hübschen, runden, rosa-weißen Gesichtern. Als er lachte, warf er sein glänzendes schwarzes Haar in den Nacken.
»Endlich!«, brüllte er und klimperte mit langen dunklen Wimpern, um die ihn Maewen aufrichtig beneidete. »Wo bist du so lange gewesen? Wir hatten dich spätestens gestern erwartet.«
Ganz eindeutig ahnte er nicht im Entferntesten, dass sie nicht Noreth war. Nun, man sieht eben das, womit man rechnet, dachte Maewen. »Woher wusstest du, wann du mich erwarten kannst?«, brüllte sie zurück.
Luthan legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie die Straße hinauf vorbei an den Gefolgsleuten, die ihn begleitet hatten – zu einer gewaltige Masse von Kämpfern. Fast eine kleine Armee säumte den Weg, und ihre Pferde standen in geduldigen Reihen unter den Felsspitzen. »Hier ist es nicht ganz so laut. Hier können wir uns unterhalten«, sagte Luthan.
Mitt blickte Moril an, der nickte und sich Maewen anschloss. Mitt stieg ab und führte ihnen rasch Maewens Pferd und Gräfin nach. Navis sah ihn fragend an und ritt schließlich ebenfalls Luthan hinterher.
Luthan drehte sich erstaunt um. »Noreth, wer sind diese Leute?«
»Meine Anhänger natürlich«, antwortete Maewen. Sie kamen auf eine feuchte grüne Wiese hinter den Felsen, wo Luthan ein hübsches Zelt hatte aufbauen lassen. Die Felsspitzen hielten den Krach des Wasserfalls ab, und Maewen konnte in normalem Ton sagen: »Das ist Navis Haddsohn, das ist Mitt. Und das ist Moril Clennensohn.«
Luthans üppiges Gesicht erhellte sich. »Die Südländer, die auf der Straße des Windes kamen? Von euch habe ich gehört. Und dich kenne ich auch, Moril, wenn ich mich recht entsinne – aber deinen Vater kannte ich besser. Meine Base weiß sich ihre Anhänger recht gut auszusuchen.« Er lächelte Maewen an; seine Worte schien er aufrichtig zu meinen. Sie fühlte sich sehr schäbig, dass sie ihn täuschte. Als unzählige Männer und Frauen in Wassersturzer Montur sich um sie scharten und sie begrüßten, fühlte sie sich noch schlimmer. Vermutlich waren es enge Freunde Noreths. Maewen jedoch konnte nur zurücklächeln und hoffen, dass niemand fand, sie benehme sich eigenartig.
»Zu deiner Frage«, sagte Luthan. »Du hast sehr geheimnisvoll getan, als du aufbrachst, Noreth, aber ich konnte mir schon denken, was du vor hattest. Du reitest die Straße des Königs, nicht wahr? Na, der ganze Norden redet davon! Was hat dich denn eigentlich auf den Gedanken gebracht, ich würde mich dir nicht anschließen?«
Maewen ertappte sich, wie sie dachte: Lodernder Ammet! Den Ausdruck schien sie von Mitt aufgeschnappt zu haben. Nun verfügte sie über das Heer, das zu erlangen sie stets so geflissentlich vermieden hatte. »Es … es wird sehr gefährlich«, sagte sie lahm.
Luthan wischte ihren Einwand beiseite. »Gefahr – egal! Ich suche die Gefahr! Ich möchte meiner wahren Königin folgen!« Und auch das meinte er ernst. Maewen wand sich innerlich. »Aber ich will dich nicht im Dunkeln lassen, woher ich wusste, wann du eintreffen würdest. Man hat mich von Kredinstal aus auf dem Seeweg benachrichtigt. Die Neuigkeit hat sich an der ganzen Küste verbreitet. Alle Küstentäler stehen bereit, sich dir anzuschließen, sobald du es verlangst, und ich habe mich natürlich ebenfalls sofort gewappnet. Du wirst meine Hilfe brauchen. Es gibt auch beunruhigende Neuigkeiten.« Luthans geschwungene Brauen streckten sich zu einer ernsten, geraden Linie. »Mein Agent in Hannart hat mir eine Brieftaube gesandt. Graf Keril ist nach Karnsburg aufgebrochen, und es sieht ganz danach aus, als
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