Jones, Diana Wynne
sie ebenfalls um das Gehölz bogen, sahen sie die Rechtsakademie vor sich liegen, und die Reiter aus Hannart waren verschwunden. Maewen erlebte eine weitere große Überraschung: Ihr war zwar klar gewesen, dass die Rechtsakademie den ältesten Trakt der Universität bildete, die sie mit Tante Liss besichtigt hatte, doch sie hatte erwartet, den Gebäudeteil mit den Türmen und den schlanken, spitzen Fenstern vor sich zu sehen. Mit niedrigen, eleganten grünlichen Häusern, auf denen sich Scharen hoher, stilvoller Schornsteine erhoben, hatte sie nicht gerechnet. Die Fenster waren allesamt breit und hatten rautenförmige Scheiben. In der Mitte verband ein anmutiger Torbogen mit einem schmiedeeisernen Gittertor zwei Gebäudeblöcke, die anderen wurden durch eine hohe Ziegelmauer verbunden.
»Sieht aus, als könnte man da ganz gut studieren«, sagte Mitt. Er versuchte zu lächeln, aber er wusste, dass er angespannt und sorgenvoll aussah. Die Reiter aus Hannart waren in der Akademie. Durch die Gitterstäbe hatte er kurz ihre Pferde gesehen.
Als sie das Tor erreichten, entdeckten sie dahinter jedoch nichts außer einem Garten und einem mit Kopfsteinen gepflasterten Weg, der zwischen Lavendelbüsche führte. Ein Pförtner näherte sich dem Tor. Maewen biss sich auf die Wange, sonst hätte sie laut herausgelacht. Der Mann trug genau genau die gleiche Uniform wie seine Kollegen in ihrer Zeit: eine bauschige Kniehose und eine dunkelblaue Jacke mit einem weiten weißen Kragen. Diese Aufmachung war anscheinend auch zweihundert Jahre vor ihrer Zeit schon altmodisch. Der Mann hatte schlechte Zähne; Maewen sah es, als er sprach.
»Besucher zum Abschiedstag? Zu welchem Schüler wollt ihr denn?«
Navis zögerte wegen der Hannarter Reiter einen Augenblick. »Hildrida Navistochter«, sagte er mit einem Schulterzucken, das man nur bemerkte, wenn man ihn gut kannte.
»Und ich möchte zu Brid Clennentochter«, rief Moril vom Wagen.
Der Pförtner lächelte sie an. Maewen konnte den Anblick seiner Zähne nicht ertragen. »Es tut mir sehr Leid, aber ihr seid zu früh dran. Abschiedstag beginnt erst um die Mittagsstunde. Kommt dann zurück, und ich lasse euch mit Freuden ein. Ihr seid nicht die Einzigen, die ich abweisen muss. Ihr werdet feststellen, dass die Stadt voll von euch ist. Aber du«, wandte er sich an Hestefan, »du kannst eine halbe Stunde früher kommen, um deinen Auftritt vorzubereiten. Der andere Barde wird dann auch wieder da sein.«
Hestefan runzelte die Stirn, als er hörte, dass er mit einem anderen Barden konkurrieren sollte, und begann, den Wagen zu wenden. »Ich danke dir. In diesem Fall trete ich nur in der Stadt auf. Aber mein Lehrling kommt zurück und besucht seine Schwester.«
Niemand merkte an, dass die Hannarter Reiter sofort eingelassen worden waren. Niemand sprach aus, dass eben diese Ausnahme nur eines bedeuten konnte: Die Hannarter Gefolgsleute befanden sich nicht zufällig in der Gegend, sondern mussten mit einem wichtigen gräflichen Auftrag nach Auental gekommen sein. Obwohl sie alle darüber schwiegen, war es jedem von ihnen klar, sogar Maewen. Sehr ernüchtert ritten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Der andere Barde hatte gleich vor der Stadt sein Lager aufgeschlagen. Sie sahen es, kaum dass sie um das Gehölz bogen: einen ordentlichen, schwarz-weißgoldenen Wagen am Rande der grünen Wiese, umgeben von Säcken und Bündeln mit Vorräten. Jemand – vermutlich der Sänger – durchwühlte die Bündel in der Haltung eines Menschen, der sich keine Hoffnung mehr macht, das Gesuchte noch zu finden.
Bei diesem Anblick begann Moril aufgeregt an Hestefans Arm zu zupfen. Hestefan trieb das Maultier an. Der grüne Wagen hielt in ganz ungewohnter Eile über den Grassoden holpernd und krachend auf den anderen Wagen zu. Moril stand vom Kutschbock auf, winkte und rief: »Dagner! Dagner!«
Der Barde, ein schmächtiger junger Mann mit rötlichem Haar, der nur wenig älter als Mitt wirkte, hatte gerade einen der Säcke aufgehoben. Als er angerufen wurde, drehte er sich um und stieß seinerseits ein lautes Brüllen aus: »Hestefan! MORIL!« Er ließ den Sack fallen und rannte herbei, hielt sich am Tritt des grünen Wagens fest und lachte, als sei es das wunderbarste Zusammentreffen auf der Welt. Alle drei begannen sofort eifrig aufeinander einzureden.
Als Maewen mit Navis und Mitt näher kam, dachte sie, sie hätte Hestefan noch nie so aufgeregt gesehen. Sie hielten jedoch ein wenig Abstand, weil
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