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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
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im Geringsten fürchtete. Das hätte er nicht erwartet. Als er zaghaft zum ersten Mal in die Blume von Holand stieg und sie unter ihm schwankte, war er sich deutlich bewusst, dass nur die vom Salzwasser aufgequollenen alten Planken ihn davor bewahrten, in den Tiefen zu versinken wie der Alte Ammet. Sehr nachdrücklich rief er sich ins Gedächtnis, dass er eine freie Seele sei und die Furcht nicht kenne. Dann lief die Blume von Holand mit dem Rest der Fischereiflotte aus, und Mitt vergaß alles. Seefahrt war ein Broterwerb wie Mildas Nähen und Sticken, mehr nicht. Und es tat ihm sehr gut, im Gegensatz zu der Horde größerer Jungen, die ihm am Kai das Leben schwer gemacht hatten, eine Arbeit zu haben und Geld zu verdienen.
    Bei schönem Wetter liefen manchmal auch die Ausflugsboote der Reichen aus, wenn Siriols Boot den Hafen mit der Ebbe verließ. Sie lagen im Westbecken, einem seichteren Liegeplatz gleich vor den Toren von Holand mit solch hohen Gebühren, dass nur die Reichen es sich leisten konnten, ihre Boote dort zu ankern. Mitt sah ihnen gerne zu, aber Siriol und Ham hatten nur Verachtung für sie übrig. Wenn die beiden die Ausflugsboote sahen, spuckten sie ins Wasser.
    »Spielzeug für reiche Männer«, nannte Siriol sie. »Bei diesem schwachen Wind krängen sie schon halb über! Wenn die in einen Sturm kommen, dauert es keine fünf Minuten und sie gehen unter.« Siriol hob sich seinen Respekt für die stattlichen Kauffahrteischiffe auf. Wenn die Stolzer Ammet oder die Liebliche Libby von Holand auslief und die Segel setzte, dann leuchtete Siriols Gesicht auf, und bei Ham war es das Gleiche. »Aha!«, rief Siriol dann. »Das nenne ich ein Schiff!« Und dann blickte er sich auf seiner plumpen, nach Fisch riechenden Blume von Holand um, als sei er von ihr enttäuscht.
    Nach einem Jahr als Fischer fühlte sich Mitt jedem Jungen in Holand gewachsen. Er wuchs nicht sehr – vermutlich, weil er so hart arbeitete –, aber er war so grob und schlagfertig wie jeder andere am Kai und erheblich schneller mit der Zunge. Er kannte jedes schlimme Wort, das es gab, und wusste auf alles eine Antwort. Die Jungen und die Mädchen behandelten ihn nun mit Respekt. Ja, viele von ihnen hätten Mitt sogar gern zum Freund gehabt. Aber Mitt blieb für sich allein. Diese Kinder, oder wenigstens Kinder wie sie, hatten ihm das Leben zur Hölle gemacht, als er neu in Holand war, und er stellte fest, dass er es ihnen nicht vergessen konnte. Ihm war die Gesellschaft Erwachsener lieber. An Land und auch an Bord riss er Witze, über die der begriffsstutzige Ham lauthals lachte und die selbst Siriol zum Lächeln brachten. Dann war Mitt zufrieden, denn dann fühlte er sich erwachsen und unabhängig – wie es einer freien Seele zukam.
    Und wie gut, dass Mitt so unabhängig war. Milda hatte einfach keinen Sinn für das Wirtschaften. Sie machte es sich zur Gewohnheit, wann immer sie mit ihrem Lohn nach Hause kam, etwas ›zufällig gesehen‹ zu haben, was ihre Begehrlichkeit weckte. In der einen Woche war es ein riesiger Kuchen mit Zuckerguss, in der nächsten ein Paar hübsche Ohrringe.
    »Man muss sich doch irgendworan aufrichten«, sagte sie zu Mitt, wenn er dagegen Einwände erhob. »Ich werde hier zertrampelt, jawohl, und wenn ich mich nicht irgendwie aufmuntere, dann gehe ich einfach unter, das weiß ich genau!«
    Das wäre noch schön und gut gewesen, aber wenn Mitt nicht daheim war und Milda ›zufällig etwas sah‹, das mehr Geld kostete, als sie besaß, kannte sie keine Skrupel und vergriff sich auch an Mitts sauer verdienten Groschen. Wenn Mitt sein Geld nicht vor ihr versteckt hätte, wären sie beide verhungert. Mitt fühlte sich schrecklich ausgenutzt und spürte zugleich die Verantwortung. Eines Abends schleppte er sich todmüde nach Hause, nur um festzustellen, dass Milda einen ganzen Korb Austern gekauft hatte, und das brachte das Fass fast zum Überlaufen. Außerdem ließ sie den Behälter auch noch unter dem Fenster offen in der Sonne stehen. Die Austern rochen schon ein wenig merkwürdig, und die Ameisen kletterten bereits am Korb herauf, auf der Suche nach der Ursache des lockenden Geruchs.
    »Wofür hast du das denn gekauft?«, schrie Mitt sie an.
    Milda war zutiefst verletzt. »Aber Mitt! Ich dachte, du würdest dich über den Leckerbissen freuen!«
    »Aber das sind doch Tausende davon!«, keuchte Mitt. »Wie sollen wir die denn alle essen? Wenn ich gewusst hätte, dass du Austern willst, dann hätte ich sie dir von

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