Jones, Diana Wynne
und die Muskeln in seinen Beinen zuckten begeistert. »Den Göttern sei Dank! Nach drei schrecklichen Jahren kann ich wirklich nicht mehr warten!«
Teil 2
Das Seefest
6.
Im Frühjahr war es sehr stürmisch. Das Meer durchbrach an zwei Stellen die Deiche. Der Wind wehte selbst im Hafen die Boote hierhin und dorthin und knickte die Masten um. Eine ganze Woche lang konnte Siriol nicht in See stechen. In der Stadt wagten sich nur wenige Leute auf die Straße, denn der Sturm blies einem Salz und Sand ins Gesicht, bis man kaum noch sehen konnte. Mitt hingegen konnte über mangelnde Beschäftigung nicht klagen. Der alte Graf der Südtäler starb, und alle Grafen des Südens versammelten sich, wie es in Holand Brauch war, um den neuen Grafen in sein Amt einzusetzen. Hinter vorgehaltener Hand wetteten die Leute, ob es Hadd wohl gelänge, sich mit allen anderen Grafen zu entzweien oder nur mit der Hälfte. Mitt glaubte, dass Hadd entschlossen war, es zu einem Bruch mit allen kommen zu lassen, denn Hobin war Tag und Nacht damit beschäftigt, Büchsen herzustellen und zu reparieren. Der Palast musste von Schießpulverwaffen strotzen. Mitt erhielt kaum Gelegenheit, einen Grafen aus der Nähe zu sehen. Einmal bemerkte er einen vornehm gekleideten Mann, der sich gegen den Wind stemmte und aussah, als wäre er viel lieber drinnen als draußen, doch konnte niemand Mitt sagen, ob das nun ein Graf gewesen war oder nicht.
»Wie auch immer, nieder mit ihm!«, brummte Mitt und eilte wieder nach drinnen.
Ganz unerwartet wurde jenseits der Sandbänke ein fremdartiges Boot gesichtet, das auf dem Weg in den Hafen war. Es herrschte große Aufregung, denn es hieß, das Boot stamme aus dem Norden. Mitt konnte an nichts anderes mehr denken.
»Am besten erledigen wir das, bevor du uns noch mehr gute Kugeln ruinierst«, sagte Hobin. Gegen den Sturm zogen Mitt und er sich dicke Seemannsjacken über, dann gingen sie wie fast das ganze übrige Holand gucken.
Schwarz im gelblichen Licht des Unwettertages, wälzte sich das Boot auf den hohen Wellen vor der Mole. Obwohl man alle Segel eingeholt hatte und nur die Fetzen eines Sturmsegels gesetzt waren, erkannte Mitt auf den ersten Blick, dass es tatsächlich aus dem Norden stammen musste. Das Boot hatte Rahtakelung, die im Süden nur wenig benutzt wurde. Ringsum schüttelten die Leute den Kopf und sagten, man könne doch nicht bei Verstand sein, wenn man mit einem kleinen Rahsegler wie diesem bei solchem Wetter auslaufe, aber seien die Nordländer nicht alle dumm? Eins stand jedoch fest: Das Boot war in großer Gefahr. Einige Minuten lang bezweifelte Mitt, ob der Nordländer es überhaupt bis in den Hafen schaffen könnte, doch dann bog das Boot um die Mole, und damit stand fest, dass es sicher landen würde.
Auf dem Kai wimmelte es von Soldaten, die das Boot in Empfang nehmen sollten. Hinter ihnen scharten sich zahlreiche gewöhnliche Leute zusammen. In den Fäusten hielten sie Messer und Steine. Mitt beobachtete alles mit außerordentlich gemischten Gefühlen. Er freute sich, dass das Schiff in Sicherheit war. Aber wie konnten sie es wagen! Wie konnten sie einfach in den Hafen von Holand einlaufen! Krängend näherte sich das voll gelaufene Boot dem Kai. Als die Matrosen die wartenden Soldaten erblickten, sprangen einige von ihnen lieber über Bord und ertranken, als sich gefangen nehmen zu lassen.
»Was für Feiglinge!«, sagte er zu Hobin.
»Sie sind so oder so erledigt«, entgegnete der Büchsenmacher. »Arme Teufel.«
Die Nordländer, die an Bord blieben, wurden gefangen genommen, kaum dass die Soldaten auf das Boot springen konnten. Die Menschenmenge verstellte Mitt meist die Sicht, aber er erhaschte einen kurzen Blick auf die Besatzung, während man sie bergauf zum Palast schaffte, einen Haufen triefend nasser, hinkender Gestalten mit hellem Haar und braunen Gesichtern, die besser genährt und gesünder aussahen als irgendjemand in Holand, obwohl sie augenscheinlich fast zu erschöpft waren, um zu merken, wie ihnen geschah. Mitt dachte erschüttert, dass sie im Grunde wie ganz gewöhnliche Leute wirkten. Er hatte erwartet, man könnte ihnen ihre Freiheit irgendwie ansehen. Doch sie hielten die Köpfe gesenkt und schlurften weiter, genauso wie jeder andere, den Harchads Männern ergriffen.
Im Palast verursachte die Ankunft der Nordländer eine ebenso große Aufregung wie in der Stadt. Dort befand sich wegen der Amtseinsetzung des neuen Grafen ohnehin alles in
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