Jones, Diana Wynne
knarrten, als Mitt und Hildy die Segel neu setzten. Schon bald spürte Ynen am Zug und der Strömung unter der Straße des Windes, die wie gewünscht nach Norden fuhr, dass Mitt tatsächlich mit ihr zurechtkam. Zum Knarren der Leinen und dem Zischen des dunklen Wassers schlief er ein.
13.
Die Nacht wollte nicht zu Ende gehen. Bis zum Umfallen stand Mitt an der Ruderpinne, denn er musste so weit in den Norden kommen wie nur möglich. Er benötigte einen großen Vorsprung. Immerhin war es ein gutes Gefühl, wieder ein Boot zu steuern, besonders solch ein wendiges, dem Ruder augenblicklich gehorchendes Rennboot wie die Straße des Windes. Doch mit dem guten Gefühl kam geistlose Langeweile. Er hatte nichts zu tun, als den langsam über den Himmel ziehenden Sternen zuzusehen und auf das weite Meer zu lauschen. Mitt versuchte mehrmals aufrichtig herauszufinden, was er sich bei seinem Vorhaben in Holand nun eigentlich gedacht hatte. Doch jedes Mal, wenn er darüber grübelte, stellte er nach einer Weile fest, dass leider keiner seiner Gedankengänge in irgendeiner Weise erwähnenswert war. Im Grunde hatte er sich gar nichts dabei gedacht.
Nach einer Weile setzten die Sterne in kleinen Sprüngen über den Himmel. Mitt konnte nicht einmal sagen, ob er kurz eingenickt war, während sie weiterzogen, aber er sah daran, dass es genug war. Er band die Ruderpinne fest und weckte Hildy.
Hildy war so müde, dass sie fast bewusstlos ihre Wache übernahm. Ihr kam es furchtbar lange vor, bis sie sich schließlich schmerzhaft über der Pinne hängend in einer blasseren Welt wiederfand. Das Meer war dunkel und glänzte. Eine weiße Welle, die vorübergebraust war, hatte sie geweckt. Hildy hoppelte wie eine alte Frau davon und weckte Ynen.
Ihr Bruder erwies sich von seinen sechs Stunden Schlaf weitaus erfrischter, als ihm Hildys Meinung nach zustand, und trat fröhlich in die hereinbrechende Morgendämmerung hinaus. Die Nebelbänke vor dem Land erschienen ihm zu nah. Ynen korrigierte den Kurs und straffte die Leinen, und während die Sonne rot und gelb aus dem Nebel aufstieg, sang er ein Lied. Nun, da die Fahrt nach Norden beschlossene Sache war, hielt Ynen sie für den besten Ausflug, den er je gemacht hatte. Als Mitt eine Weile später aufstand, fuhr die Straße des Windes vor einem lebhaften Wind und unter einem grauen, streifigen Himmel flugs dahin. Das Land wirkte wie kalkiger Schmutz. Auch die schnellen grauen Wellen zog es nach Norden, und vor dem eifrigen Bug der Straße des Windes teilten sie sich in zwei weiße Striche. Ächzend kroch Hildy ein wenig später aus der Kajüte. Es war noch so früh.
Sie kramten die Pasteten hervor. Sie schmeckten altbacken, waren durchtränkt und längst nicht mehr so appetitlich. »Ich denke«, sagte Mitt, »dass sie alte Feinde sind, wenn wir Königshafen endlich erreichen – falls sie so lange halten.«
»Das sollten sie. Wir haben zwei Säcke davon«, entgegnete Ynen und musste lachen, als er Mitts Gesichtsausdruck sah.
»Dann müssen wir uns nur wegen Wasser sorgen«, sagte Mitt.
»Na ja, eigentlich ist das Wasserfass randvoll«, gab Hildy zu.
Im ersten Moment konnte Mitt es kaum glauben, dass er dermaßen hereingelegt worden war. Dann begann er zu Hildys Erleichterung vor Lachen zu brüllen. »Ich wette, ihr wart sauer, als ich den Arris nicht haben wollte!«, rief er. »Uns Raubeinen sagt man schließlich nach, dass wir das Zeug lieben, was!«
Hildy wandte verlegen den Kopf ab. Ihre Verlegenheit wuchs, nachdem Mitt das Wasser gekostet hatte und verkündete, süßeres Wasser habe er noch nie getrunken. Ynen und sie schauderten ob seines schalen, holzigen Geschmacks.
Ihr Götter!, dachte Hildy. Was für ein Wasser muss es in Holand geben! Ihr war so unbehaglich, dass sie aufsprang und aufs Kajütendach floh. Zur Entschuldigung murmelte sie, sie glaube, die Vorsegel müssten überprüft werden.
»Soll ich helfen?«, fragte Mitt.
Hildy wusste nicht, was sie sagen sollte, und verzichtete auf eine Antwort. Mitt erhob sich gerade, um ihr zur Hand zu gehen, als Ynen überrascht ausrief: »Na so was! Wo um alles in der Welt kommen die denn her?«
Mitt sah hin. Zu seiner Überraschung trieb eine Anzahl halb versunkener Äpfel neben dem Boot in den Wellen. Er beobachtete, wie sie scheinbar mit einer Welle aufstiegen und dann zurückgelassen wurden, wie es bei Treibgut immer ist. Er entdeckte Dutzende von ihnen: hellrote und gelbe, wassergetränkte Äpfel. Sie umgaben die ganze
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