Jordan, Penny
Schlimmste erspart blieb.
Simon fand sie. Als er aufwachte und feststellte, dass Deborah fort war, trieb ihn eine seltsame Ahnung in die Kapelle. Angst und Widerwille raubten ihm den Atem, und eine Gänsehaut überzog seinen Körper, während er Deborahs blutüberströmten Körper betrachtete.
Er floh hinaus und blickte benommen um sich. Ich muss fort, ich muss fliehen, dachte er fieberhaft … Niemand wusste, dass er noch da war. Es war gerade erst sechs Uhr. Sein Wagen stand vor dem Haus, aber das Personal schlief hinten. Es konnte nicht wissen, dass er gestern Abend nicht wieder weggefahren war.
Simon lief nach oben, spülte die beiden Gläser, wusch sich und zog sich in aller Eile an. Gerade wollte er das Bett glätten, da erinnerte er sich an die Flecken auf dem Laken.
Rasch zog er die Wäsche ab, holte ein frisches Tuch aus dem Schrank vor der Schlafzimmertür und bezog das Bett frisch. Das verschmutzte Laken klemmte er unter den Arm, um es später fortzuwerfen.
Er benutzte die Haupttreppe und verließ das Haus durch eine der Flügeltüren. Erst nach zwanzig Meilen hielt er den Wagen zitternd wieder an.
Deborahs Vater rief ihn an und teilte ihm die Nachricht mit. Ihr Großvater hatte von dem Schock über den Selbstmord der Enkelin einen schweren Herzanfall erlitten und war ebenfalls verstorben.
Blass und verstört ging Simon zur Beerdigung, tiefschwarz gekleidet. Die anschließende Einladung ins Trauerhaus lehnte er ab. Eine Lokalzeitung hatte von dem Vorfall erfahren, und man munkelte über einen Fluch, der über der Familie läge.
Simon reiste erst einmal nach Amerika. Er empfand keinerlei Schuldgefühle, sondern war nur furchtbar wütend und redete sich ein, dass Deborah eine Anlage zum Wahnsinn gehabt hätte. Weshalb in aller Welt hatte sie sonst den Tod einer Ehe mit ihm vorgezogen?
Er verdrängte den Vorfall wie vieles, woran er sich lieber nicht erinnerte. Ein neues Kapitel seines Lebens hatte begonnen.
Die Amerikaner mochten ihn. Ihnen gefiel sein Akzent, sein Aussehen und vor allem seine Erziehung. Er hatte sich mit zahlreichen Empfehlungen versehen, redete unbefangen über das Familiengut und fügte achselzuckend hinzu, dass die Erbschaftssteuer leider alles aufgezehrt habe. Er entsprach genau dem Bild, das sich die Amerikaner von einem Mitglied der britischen Aristokratie machten, und ließ sich seinerseits von deren Ehrgeiz und Schwung anstecken.
Ein gemeinsamer Bekannter stellte ihm Elizabeth Calvert vor. Sie war groß und schlank genug, um ihn körperlich anzuziehen. Als er erfuhr, wer sie war, war er überzeugt, endlich die richtige Frau gefunden zu haben.
Sie heirateten unmittelbar nach Weihnachten. Sein Schwiegervater drängte ihn, in den Vereinigten Staaten zu bleiben. Gewiss ließe sich eine Stelle innerhalb des Familienkonzerns für ihn finden, wo er sich sowohl mit der Politik als auch mit dem Recht befassen konnte, aber Simon schüttelte den Kopf. Er wollte nach England zurück und den alten Familienbesitz wieder an sich bringen, erklärte er. Mit der Mitgift seiner Frau würde ihm das keine Mühe bereiten. In Wirklichkeit hatte er keine Lust, unter den aufmerksamen Blicken von Henry Calvert VI. zu leben. Aber das behielt er für sich.
Er hatte noch einen weiteren Grund, nach England zurückzukehren. Geld allein genügte ihm nicht, das merkte er jetzt. Er wollte auch die Macht.
Simon dachte an alles, was er in Oxford gelernt hatte. Die Macht zeigte sich in unterschiedlichster Verkleidung. Er musste herausfinden, welche für ihn geeignet war.
Sein Schwager erwähnte als Erster die Möglichkeit, in die Politik zu gehen. Beiläufig erzählte er, dass er nach Washington müsse, um vor einer kleinen Gruppe von Senatoren zu sprechen.
Peter Calvert war Rechtsanwalt, und was er sagte, machte Simon nachdenklich. Seine beiden Großväter hatten ihren Wahlbezirk im Parlament vertreten. Sein Vater hatte an der Politik kein Gefallen gefunden, und gewiss war das keine Karriere für einen Mann ohne familiären Rückhalt. Aber mit der Mitgift seiner Frau …
Bevor das frisch verheiratete Paar nach England zurückkehrte, standen Simons Zukunftspläne fest.
Elizabeth Calvert wusste selbst nicht recht, was sie von der Ehe erwartete. Zunächst war sie erstaunt und später entzückt gewesen, dass Simon Herries ihr den Hof machte. Mit einundzwanzig Jahren hatte sie bereits schmerzlich erfahren, dass ihr schmaler, beinahe kurvenloser Körper dem männlichen Geschlecht nicht sonderlich gefiel.
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