Josef und Li: Roman (German Edition)
Josef und Vendula, auf dem sie noch klein waren, Vendula noch Löckchen trug und Josef über beide Ohren grinste. Frau Kličková griff sich den Koffer, trat in den Vorraum und wäre beinahe mit Herrn Klička und Marta zusammengestoßen.
»Bist du verrückt geworden? Wo willst du denn hin?«, fragte Herr Klička Frau Kličková und betrachtete ungläubig den Koffer. »Es ist doch mitten in der Nacht!«
Und Josef, der durch den Türspalt alles gesehen und gehört hatte, wusste, dass es Frau Kličková herzlich egal war, ob es Tag oder Nacht war und dass sie fest entschlossen war.
»Wir haben uns doch nur ein bisschen verspätet. Wir hatten Hunger und Durst, der Kühlschrank war komplett leer!« Herr Klička versuchte Frau Kličková ein schlechtes Gewissen einzureden. »Wenn du mal einkaufen würdest, dann müsste ich nirgendwohin gehen! Aber wenn sich hier keiner kümmert …«
Josefs Herz klopfte so laut, dass er fast nicht hörte, wie Frau Kličková zu Herrn Klička sagte: » Von nun an kannst du dich ja kümmern, dann klappt es sicher besser … und vielleicht hilft dir Marta ja dabei.«
»Saschenka, bitte geh nicht weg …«, sagte Herr Klička leise und sah auf einmal ganz anders aus. Wie ein lappiger Luftballon oder wie ein zerquetschtes Auto. Aber ohne zuzulassen, dass sich ihr Herz vor Mitleid zusammenkrampfte, ging Frau Kličková schnell hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Vielleicht ging sie so schnell, weil sie keine Zwiebel zur Hand hatte, die sie hätte schneiden können, oder ihr Herz fing schon an, sich langsam zusammenzuziehen und sie hatte Angst, dass sie sich ihre Entscheidung noch einmal überlegte.
Mit einem Satz war Josef am Fenster und sah, wie Frau Kličková den Hof durchquerte, und ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, verschwand sie in der Durchfahrt. Als die schwere Eisentür hinter ihr zufiel, wurde Josef klar, dass Frau Kličková wirklich fortgegangen war.
Auch Vendula wurde es klar, denn einen Augenblick später tauchte sie in Josefs Zimmer auf. Sie brachte ihr Kissen und die Bettdecke mit und legte sich zu Josef ins Bett.
»Ich bleibe keine Minute länger mit der Hydra im Zimmer«, sagte sie still und schlief gleich ein.
Josef konnte aber noch lange nicht einschlafen. Er dachte an Frau Kličková und fragte sich, was sie wohl gerade tat, wohin sie ging und was sie vorhatte. Vielleicht fährt sie ganz weit weg, bis zum anderen Ende der Welt, und dort findet sie einen anderen Mann und bekommt andere Kinder.
Diese Vorstellung erfüllte Josef mit so viel Schmerz, dass es ihm doch noch gelang, einzuschlafen. Vielleicht aber auch deswegen, weil er sich auf den Boden legte, wo ihn Vendulas Haarstacheln nicht mehr piekten.
»Heute kommt Li Nguyen an die Tafel! Ich habe noch keine Note von dir«, sagte die Frau Lehrerin und der Rest der Klasse atmete erleichtert auf.
Li ging also zur Tafel und Josef bedeutete ihr, dass er die Daumen halten würde. Aber zunächst sah es so aus, als würden die Daumen nicht sonderlich helfen. Denn als die Frau Lehrerin fragte, was alles zur Tierwelt des Wassers gehöre, stand Li nur da und brachte kein Wort heraus.
»Na komm, Li, welche Lebewesen kennst du, die im Wasser leben?«, wiederholte die Frau Lehrerin die Frage, doch Li sagte immer noch nichts.
»Le-be-we-sen-im-Was-ser!«, buchstabierte die Frau Lehrerin und fing an, sich über Li ein wenig zu ärgern. »Wel-che Was-ser-tie-re«, fragte die Frau Lehrerin zum letzten Mal, aber
Li stand wie angewurzelt da und machte ein Gesicht, also ob sie überhaupt nicht verstanden oder im Leben kein einziges Wassertierchen gesehen hätte.
Und doch hatte sie an diesem Tag bei Sonnenaufgang alle Namen der Meereslebewesen gelernt, die in der dicken Enzyklopädie aufgemalt waren.
»Muschel, Miesmuschel, Seeanemone, Seeteufel, Sardine, Hering, Kabeljau, Delphin, Haifisch«, hatte es durch das Fenster in den Hof auf Vietnamesisch und auf Tschechisch gehallt, und jeder, der vorbeiging, dachte, dass ein Gedicht vorgetragen wurde.
Doch jetzt konnte sie sich nicht an ein einziges Wort erinnern und ein graublauer Nebel, in dem es vor namenlosen Schatten wimmelte, zog vor ihren Augen vorbei.
Die Kinder versuchten, ihr einzusagen. Zu den Lebewesen des Wassers gehören Fische und Krabben, schallte es durchs Klassenzimmer, und Helena Bajerová rief:
»Und Krawatten!«
Li wiederholte also, dass in das Meeresreich Fische, Krabben und Krawatten gehören, und die Kinder, ganz besonders Máchal und Helena
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