Josef und Li: Roman (German Edition)
nichts von sich hören und Josef verspürte überhaupt keinen Hunger mehr. Er schaute immer leidender und selbst wenn Herr Nguyen sich
beim Gerichte-Ausdenken selbst übertraf, ließ es Josef kalt. Er kaute mechanisch jeden Bissen und blickte durch Menschen, Wände, Bäume hindurch, bis sein Blick in irgendwelchen entfernten Nebelschwaden vor Anker ging.
Und so bemerkte er gar nicht, dass in der Teestube die Türglocke ging, Tuong mit einem Fass Bier in die Küche stürmte und fröhlich ausrief: »Chalo Leute, bringe ich tschechische Tee! Gutes Preis, gutes Qualität!«
Als Josef nach einer Weile von den Nebelschwaden in die Küche zurückgekehrt war, sah er, wie Frau Nguyen, Tuong und Li gemeinsam lachten, wie sie sich gegenseitig auf die Schulter klopften und sich alle durcheinander auf Vietnamesisch unterhielten.
Und es gefiel Josef so gut, dass alle so fröhlich waren, dass er gleich im Geist anfing, bis einundzwanzig zu zählen.
Li fiel aber trotzdem auf, dass Josef wohl irgendetwas ins Auge geflogen war. Sie reichte im ein Taschentuch und flüsterte: »Wirst du sehen, bei euch auch bald lustig.« Josef sah sie ungläubig an und Li fügte hinzu: »Wenn Hydra weg sein.«
»Ja klar, und wann wird das sein?«
»Schon bald!«, sagte Li mit fester Stimme und deutete auf das Bierfass.
Josef kam aber nicht darauf, was Li damit meinte, und so beugte sie sich zu ihm und flüsterte ihm etwas zu.
Es war so leise, dass es nicht einmal das scharlachrote Fischlein im Aquarium hören konnte, und wir erst recht nicht. Es war nämlich ein Geheimnis. Nur Josef hörte es und gleich blitzte es in seinen Augen auf und der Nebel vor seinen Augen löste sich völlig auf.
Marta sah nach ein paar Tagen Haushaltführung bei den Kličkas erbärmlich aus. Es war zu viel für sie. Waschen, Bügeln, Kochen, Putzen. Und kein Dank!
Als Belohnung bekam sie nur die verschwörerischen Blicke von Josef und Vendula, ihr widerwärtiges Gekicher, den Rattenköttel und die Chipskrümel im Teppich.
Um Herrn Klička stand es nicht viel besser. Er lief in seinen Straßenschuhen in der Wohnung auf und ab wie ein Tiger im Käfig, telefonierte alle Bekannten und Verwandten ab, immer noch auf der Suche nach Frau Kličková. Er beantwortete keine Fragen, klopfte die Zigarettenasche auf den frisch gewischten Möbeln ab – aus Nervosität fing er wieder an zu rauchen – und schaute immer trübseliger drein.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – also vielmehr der vorletzte Tropfen –, war, als Martianne auf den gedeckten Tisch kletterte und sich an den belegten Broten verging, die für das Abendessen gedacht waren.
Und da hörte Marta auf, sich zu beherrschen, warf mit dem Schuh nach Martianne und schrie: »Den ganzen Tag tanze ich umher wie ein Wischmopp, tue, was ich kann, aber niemand sieht mich nur an oder spricht mit mir. Als ob ich Luft wäre!«
Josef und Vendula tauschten ein zufriedenes Lächeln aus und Herr Klička, der gerade die nächste Nummer wählte, sah Marta verblüfft an, weil er nach längerer Zeit wieder bemerkte, dass sie ja auch noch da war.
Marta schluchzte und fing an, ein Salatblatt zu bügeln, das sie wohl mit einem Stofftaschentuch verwechselt hatte.
»Die ist mit den Nerven runter, Papa«, flüsterte Josef Herrn
Klička zu, und zwinkerte Vendula unauffällig zu. »Geh mit ihr in die Lustige Teh Cann . Das ist nicht weit weg und es wird jetzt auch Bier ausgeschenkt!«
An dem Abend half Li Frau Nguyen in der Lustigen Teh Cann beim Bedienen der Gäste. Also eigentlich ab dem Augenblick, als Herr Klička mit Marta die Teestube betrat. Sie band sich überstürzt eine Schürze um, steckte sich eine rosafarbene Spange in die Haare und sagte zu Frau Nguyen, dass sie sich selbst um die neuen Gäste kümmern werde.
Höflich geleitete sie Herrn Klička und Marta an einen kleinen Tisch am Fenster, brachte ihnen die Speisekarte und für den Anfang einen tschechischen Tee – eine Flasche Bier – und lächelte beide an.
Es schien, als hätte Marta sich erholt. Sie sah wieder blendend aus. Sie war geschminkt, frisiert und trug einen schneeweißen Pullover. Der hatte es Li besonders angetan, und dann entfernte sie sich, um die Gäste bei der Auswahl der Speisen nicht zu stören.
Herr Klička setzte seine Brille auf und machte sich an das Lesen der Speisekarte. Es war nicht bloß eine beliebige Speisekarte, sondern eher ein Gedichtband, den man nicht nur lesen konnte, sondern auch essen. Und auf einer Seite stand
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